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220 Psychische Studien. III. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1876.)
eine Totalität von Atomen, so gibt es keine reale Einheitsmacht
über ihnen, keine natura naturaas als schöpferische
Quelle jener. Sind Atome und sind sie ewig, unentstanden
und unvergänglich, so können sie nicht vorher (es gibt
dann kein Vorher) Eine Wesenheit gewesen sein und können
auch in alle Ewigkeit eine solche Eine Wesenheit nicht
werden. Ihre angenommene Gleichartigkeit als materielle
Wesenheiten machen sie nicht zu Einem Wesen, sondern
jedes Atom, soviel ihrer sein mögen, ist eine absolute Substanz
, wenn auch noch so klein, und es gibt also dann eine
unzählbare Anzahl absoluter Substanzen odor Wesenheiten,
eine fabelhafte Vielheit von Grötterlein. Diese Lehre ist
nur scheinbar Monismus, in Wahrheit ist sie Pluralismus;
nach Buhring ist nicht zwar ein Pluralismus einer (undenkbaren
) unendlichen, aber doch unbestimmbaren Anzahl von
Atomen. Die Existenz der Atome ist nicht a priori erwiesen
und kann nicht a priori erwiesen werden, und da der aposteriorische
induktive Gang des Beweisversuchs im besten Fall
nur Wahrscheinlichkeit erreichen kann, so fehlt der strenge
Beweis ihrer Existenz. Aber nicht bloss ist die Existenz
der Atome nicht beweisbar, sondern der Begriff des Atoms
ist auch widersprechend, was auch Du Bois Reymond zugibt.
Nimmt man mit Dühring das Atom als einen Raum einnehmend
an, so ist es nicht einfach, was es im Gegensatz
des Zusammengesetzten doch sein soll; nimmt man es mit
Wiessner*) im Anschluss an Fechncr und Andere als raumlos
an, so bleibt unbegreiflich, wie aus Raumlosen der Raum
und die Materie erklärt werden kann. Aber weit entfernt,
dass wenigstens nur zwei weic abweichende Auffassungen
der angenommenen Atome vorhanden wären , sogar noch
eine ganze Reihe abweichender Vorstellungen von ihrer
Natur wäre zu verzeichnen, welche K. Rosenkranz**) und
noch vollständiger A. Steudel***) vorlege, wobei sich Letzterer
nicht enthalten kann, (S. 491) von der kolossalen Phantasie
zu sprechen, welche zur Annahme der Atome-Theorie erfordert
werde. Die absolute Atomistik des Materialismus
kennt begreiflicherwc ise nichts Unvergängliches als die Viel*
heit der Atome, und da diese erdichtet sind, so ist auch ihre
Unvergänglichkeit erdichtet Selbstverständlich folgt aus
der absoluten Atomistik der unbedingte, allumfassende
Determinismus, mit der Leugnung der Unvergänglichkeit der
geistigen Wesen auch die Leugnung ihrer Willensfreiheit
und hieraus die Unmöglichkeit, aus ihren materialistischen
*) „Das Atom" von Alexander Wiessner,
**) Neue Studien von Karl Rosenkranz, II, 476 ff.
***) Philosophie im Umriss von Adolph Steudel, I. 478—507,
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