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Dr. L. Weiss über Prof. Dr. M. Lazarus* Leben der Seele. 271
wissenschaftlichem Gebiet vom Markt als Heldenthat be-
grüsst ward. Am meisten aber, und auch mit Recht, waren
Schriften über Seelenlehre verrufen. Zwar unterschied
man empirische und rationale Psychologie; aber „es war,"
wie Lazarus Seite 53 sagt, „die rationale noch gar sehr
bloss empirisch, und die empirische war weder rational,
noch im heutigen Sinne wahrhaft empirisch; es war unwissenschaftliche
vage Erfahrung." .... Doch jene andern Untersuchungen
waren noch viel abschreckender, wonach die Seele
einfach sein musste, unräumlich, punktuell, weil die Körper
zusammengesetzt, räumlich, ausgedehnt hiessen; wonach sie
eine Kraft hiess, weil die Körper träg und schwer zur Bewegung
hiessen; wonach sie das Reine und Himmlische
war, weil die Körperwelt dem irdisch Sinnlichen entstammte;
wonach sie unzerstörbar hiess als einfaches, reales Wesen
gegenüber der zusammengesetzten, zerfallenden Körperwelt.
Was konnte für die Erkenntniss über die Natur der Seele
aus solcher Philosophie des Gregentheils entspringen? Und
war es nicht der Wortinhalt, den man statt der Sache
zergliederte? — Kein Wunder, wenn vor solcher abstracten
Seelenlehre allmählich der Muth erlahmte, ein Buch über
die Seele aufzuschlagen. Um so unerwarteter, ich gestehe
es gern, erschien mir Lazarus1 „Leben der Seele/' Denn hier
ist Licht, um sich
„Von allem Wissensqualin entladen
In seinem Thau gesund zu baden."
Und wenn unter dem Misskredit, in welchen Philosophie im
Allgemeinen und Seelenlehre im Besonderen gerathen war,
auch Lazarus1 Schrift zu leiden hatte und ihre Verbreitung
nicht, wie ihrem Werth entspricht, stattfand, so hoffen wir,
dass der jetzige Zeitpunkt ein günstigerer ist. Der Darwinismus
hat ja das nicht zu leugnende Verdienst, den
Sinn für Spekulation wieder geweckt zu haben. *) Und nach-
*) Man vergleiche hierbei, was besonders der englische Naturforscher
Alfred Rüssel Wallace, Darwin"s Strebensgenosse in der
Erforschung der natürlichen Zuchtwahl, durch seine naturwissenschaftlichen
wie spiritualistischen Schritten geleistet hat. Die ersteren
haben bereits in Deutschland einen anerkennenden Wiederhall gefunden
durch Dr. Ad. Bernh. Meyer1 s Schrift: „Charles Darwin und
Alfred Bussel Wallace. Ihre ersten Publikrtionen über die'Entstehung
der Arten4 nebst einer Skizze ihres Lebei s und einem Verzeichniss
ihrer Schriften.'- (Erlangen, Besold, 1870), sowie auch in Prof. Dr.
Joh. Carl iriedr. Zolin er9 s Werk: „Ueber cUe Natur der Cometen.
Beiträge zur Geschichte und Theorie der Erkenntniss " (Leipzig, W.
Engelmann, 1872), worin Wallachs Verdienste als bedeutender und
geistvoller Naturforscher S. 358—361 anerkannt sind. Die spiritualistischen
Schriften desselben sind bekanntlich unter den Titeln: „Die
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