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306 Psychische Studien. III. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1876.)
die Visionen sämmtlieh subjektiv zu erklären versucht, so
können wir ihm nicht beistimmen, obgleich die grosse Mehrheit
der Visionen auf diese Erklärung hinweist. So ist sie
z. B. unbedingt anzuerkennen in dem Falle (S. 55), wo ein
Professor beim Nachhausegehen plötzlich auf einer "Wiese
sich selbst in 12—45 Exemplaren umherwandeln sah, welche
aus verschiedenen Altern waren und die längst vergessenen
Kleider des Gelehrten trugen, hei gesammelter Besonnenheit
aber alle verschwanden. Aehnlich kann es sich mit
den Vorkommnissen der Besessenheit vcrhaJten. Wenn aber
nach dem Verfasser alle Fälle dieser Art aaf Dämonomanie
zurückzuführen sein sollten, auf die abnormale Produktion
eines Trugbildes doppelter Persönlichkeit (S. 84), so hat der
ungenannte Verfasser der Schrift: „Ueber das Besessensein
oder das Dasein und den Einfluss des bösen Geisterreichs
in der alten Zeit" (Heilbronn, Drechsler, 1847), gezeigt, dass
die Besessenheitsformen, von welchen die heil. Schrift des
neuen Testamentes berichtet, nicht als psychische Krankheitserscheinungen
erklärt werden können- ohne Christum
tiefgreifender Irrthümer zu beschuldigen, da die Annahme
einer Accomodation an angeblich herrschenden Volksaberglauben
der Juden völlig unhaltbar ist. Ueber die furchtbare
Manie der Hexenproeesse gibt uns der Verfasser keine
sonderliche Aufklärung. Länger hält er sich bei Erscheinungen
des neueren Spiritualismus auf und gibt wenigstens
zu (S. 118), dass, möge auch Humbug und Selbsttäuschung
in bedeutendem Maasse auf diesem Gebiete vorkommen,
des Wahren und Merkwürdigen genug übrig bleibe, um deu
Spiritualismus der wissenschaftlichen Beachtung für werth
zu halten. Störend ist, dass er für die nähere Kenntniss-
nahme seiner Ansicht auf Aufsätze in Westermann9 s Zeitschrift
hinweist, anstatt sie in der Schrift selber zu entwickeln
. Die Spukerscheinungen, deren er eine ganze Reihe
mittheüt, erklärt der Verf. bekanntlich aus magischer Fernwirkung
, welche nach ihm durch Lebende, Sterbende, vielleicht
auch durch Abgeschiedene in sehr verschiedener
Weise statt finden kann. Wenn der Verf. hierauf eine
Reihe von Geistererscheinungen vorführt, so begnügt er sich
fast nur mit der Aeusserung: „Bei den folgenden (Geister-
erscheinungs)-Fällen werden Viele keinen Anstand nehmen,
sie für Wirkungen Verstorbener zu erklären/' Von körperlichen
Wirkungen der Ekstase bringt der Verf. an das Unglaubliche
grenzende Dinge vor. Die merkwürdigsten wohl
sind die Erscheinungen bei den Medardisten (auf dem
Kirchhof von St. Medard zu Paris). Ihre Erklärung sucht
der Verf. in bedeutenden Umstimmungen der Nervensysteme
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