http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1876/0425
Gr. C. Wittig: Moriz Carriere's Ansicht über Magie, 417
Magie getrieben, noch wird die Macht derselben anih m oder
durch ihn offenbar. Goethe hat hier die Volkssage vertieft
und verinnerlicht. Ihm ist Magie der seherische Tiefblick
in das Innere der Natur, in den Zusammenhang und die
Wirkenskraft aller Wesen und das Vermögen des Greistes,
diese zu erfassen und im Verein mit ihr die eigene Kraft
walten zu lassen. Magie ist der phantastische Ausdruck,
die Ahnung dessen, was die Naturwissenschaft und ihre
und Liebliche der Welt vereinigt, wird er doch ein Meister neuen
Wissens und der Kuhm der Erde sein! Der Dämon beschwört Geister
der Holle, dass sie sinnliche Triebe in Justina erwecken, ihre Phantasie
entzünden und vergiften sollen, und die Jungfrau tritt nun auf,
uinklungen von holden geheimnissvollen Stimmen, und sieht überall
in der Natur das beglückende Walten der Liebeslust. Bei den Bewerbungen
der Jünglinge hatte sich kein Gefühl in ihr geregt, jetzt
rührt es ihr Herz, dass ein Mann wie Cyprianus sich um ihretwillen
in die Einsamkeit zurückgezogen; ja, nun möchte sie ihn aufsuchen.
Da steht der Dämon vor ihr und verspricht, sie hinzugeleiten. Aber
alsbald erhebt sich inr Gewissen über ihr aufwallendes Blut, und als
der Dämon behauptet, dass sie mit ihren verlangenden Wünschen
schon die That zur Hälfte vollbracht, beruft sie sicli auf ihren Willen,
der unter den mannigfachen auftauchenden Gedanken erst zu wählen
und sich zu entscheiden Labe, der sich nicht zwingen lasse. Der
Dämon verheisst im Genuss ihr Glück und Seeligkeit; sie sieht darin
Elend, Verderben und Leid. Als er sie anpacken und fortreissen
will, ruft sie Gott zum Schutze an, und der Böse muss von ihr lassen,
ihr den Sieg zuerkennen, indem er verschwindet. Unsicher, ob das
Alles ein Blendwerk ihrer Einbildungskraft oder ein Zauber der
Hölle gewesen, geht sie nach der Christengemeinde, um dort zu beten
und ihre Hache Gott anheim zu stellen. So ziehen denn die Beschwörungen
des Cyprianus nicht sie selber, sondern nur ein Phantom von
ihr in den Waldesschatten, und wie er die Arme ausstreckt, sie zu
umfangen, schrumpft die Änmuth der Jugend zum Gerippe zusammen;
die Erscheinung zerflifsst mit dem Spruche: „Also, Cyprianus, geht
aller Glanz der Welt zu Grunde." Nun muss der Dämon dem Weisen
bekennen, dass er keine Macht über Justina gehabt, weil ihr Wille
frei, ein Gott der Schützer ihier Tugend sei. Schlag auf Schlag ent-
reisst Cyprianus ihm das Zugeständniss: dass dieser Gott also allwissend
, allgütig sei, da»s auf ihn jenes Wort des IHinius passe, dass
der Gott der Christen der Eine, der Wahre sei. Da der Dämon den
Pakt nicht erfüllen konnte, will der Weise seine Handschrift wiederhaben
; er ringt mit ihm darum; Gott, den er suche, werde ihm
gnädig sein. Er lässt sich von einem Einsiedler taufen und kommt
nach Antiochia zurück, wo eben Justina, als Christin verhaftet, zum
Märtyiertode geführt wird. Er bekennt seinen Glauben, sie versichert
ihm, dass Gott das Rufen der Menschen erhöre, dass Gottes Gnade
unendlich grösser sei denn des Menschen Schuld; dass es nicht so
viel Stern' am Himmelskreise, so viel Funken m der Flamme, so viel
Sand am Meeresufer, so viel Stäubctien in der Sonne gebe, als Er
Sünden kann vergeben. Cyprianus ist bereit, sein Leben für seinen
Glauben zu opfern und so seine Seele zu retten. Justina erwiedert:
„Ich versprach dir Lieb* im Tode, und nun, da ich dir zur Seite
sterbe, Cyprianus. nun geb1 ich dir, was ich verheisson." Als ihre
Häupter gefallen sind, umhüllt eine Donnerwolke das Blutgerüst, und
Psychische Studien. September im. 27
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1876/0425