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III. Abtheilung*
Tagesneuigkeiten, Notizen u. dergl.
Aus der Philosophie eines Verbrechers über Leben und Tod.
In einer vortrefflichen Seelenstudie von Ferdinand nürnberger
, betitelt: „Die Last des Schweigens" in Oscar
BlumenthaVs empfehlenswerthen „Neuen Monatsheften für
Dichtkunst und Kritik," III. Band, 6. Heft (Leipzig, Ernst
Julius Günther, 1876) linden wir folgende beachtenswerthe
Stellen: — „Der Mensch hat einen ausserordentlich dürftigen
Stoff, woraus seine Begriffswelt sich aufbaut. Dieser
Stoff bind seine Sinneseindrücke, wozu sein Verstand die
Ursachen sucht. Aber der nämliche Sinneseindruck kann
verschiedene Ursachen haben und die nämliche Ursache
verschiedene Sinneseindrücke bewirken. Daher kommt es,
dass unsere Begriffe so wenig Gewissheit haben und dass
das (rechte) Denken eine Wissenschaft ist. Die Menge der
Menschen ahnt das nicht. Mit einer erschreckenden Flüchtigkeit
schliesst sie über Ursache und Wirkung, und fast die
Regel ist's, dass sie so schliesst: 'post hoc, ergo propter
hoc: eine Erscheinung kommt nach der andern, folglich
kommt eine Erscheinung aus der andern/ Aus verkehrten
Schlüssen baut sie eine verkehrte Welt auf, und diese AVeit
ist ihr die Welt der göttlichen Ordnung. Diese Welt lässt
sie sich garantiren durch Religionen, Gesetze, Soldaten, —
es ist ihre offizielle, ihre sittliche Welt."
Ferner: — ,,lch bin zu Ende .... Der Mond taucht
hervor . . . Ich seil' ihn (als verurtheilter Mörder) zum
letztenmale. Morgen seh' ich ihn nicht mehr. Und doch
— wird er gesehen werden. Andere werden ihn sehen.
Andere? Warum Andere? Giebt es denn Andere? Ist nicht
ein Mensch die ganze Menschheit, sind die Andern nicht
ich selbst ? Wenn Du vom Anfang bis zum Ende der Mondnacht
über die Länge des Platensees hinwandelst, sagt man
dann: jetzt spiegelt sich der Mond in andern Tropfen?
Was ist ein Anderes? See dort und hier — Alles! Auch
das Ich ist ein Aberglaube! Es ist der zäheste, der hartnäckigste
, es ist der Aberglaube auch noch Derjenigen,
welche nichts glauben. Aber unüberwindlich ist sogar er
nicht. Man kann ihn aufgeben. Das erste Auge auf Erden
war meines, und das letzte ist's auch. — Das letzte! Aber
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