http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1876/0511
Alexander lloffers: Ueber Phrenologie.
503
bei dem neugeborenen Kinde nur den Organen gemäss sein,
welche dasselbe mit aul die \\relt bringt.
Mit der allmäligen materiellen Entwicklung kann auch
nur das Verständniss wachsen, welches seinem Oganismus
entspricht. Die Grösse desselben allein ist aber noch kein
Maaszstab der intellektuellen Kraft, sondern dieselbe wird
auch von der Form des Schädels abhängen, was zu untersuchen
wiederum Sache der Phrenologie ist. Selbst der
freie Wille des Menschen manifestirt sich als eine Kundgebung
der Organe desselben. Von Geburt an war der
Mensch ebensowenig frei, wie er im Greisenalter frei ist.
Man lebt, wo man geboren ist, in einem besondern Centraipunkt
, den man nicht auswählen kann, wo einem Beispiele,
nach denen man nicht verlangt hat, vor die Augen treten,
wo man sich unvorhergesehenen Eindrücken und physischen
Einschränkungen keinen Augenblick entziehen kann. Das
Kind lebt und kann anfänglich nur leben, indem es seinen
Naturtrieben gehorcht; im spätem Alter heben die Sitten,
Bedürfnisse und das Klima zu jeder Stunde die Freiheit
des Individuums auf. Der Schlaf schliesst die Augenlieder
und vermag die Nächte des Menschen durch Träume und
mannigfache Eindrücke zu beunruhigen, welche ihn noch
wachend verfolgen und auf seine Gedanken und die Organe,
die sie vermitteln, oft noch lange einwirken. Da nun der
Gedanke das Resultat von Nerveneindrücken ist, und der
Mensch die Eindrücke weder hervoi rufen noch zurückweisen
kann, so ist er auch nicht Herr seiner Gedanken und Entschlüsse
; es hängt nicht mehr von ihm ab, zu fühlen oder
nicht zu fühlen, zu hören oder nicht zu hören u. s. w. Da
alle Fähigkeiten des Menschen also durch die Eindrücke
angeregt und in Thätigkeit versetzt werden, ist es ihm auch
nicht immer vergönnt, unabhängig zu handeln, und seine
Freiheit findet sich so durch die .Reaktion der äussern Einwirkungen
auf ihn und besonders durch seine eigenen Bedürfnisse
beschränkt. Das ganze grosse, noch unentdeckte
Gebiet der mediumistisehen Erscheinungen, des Magnetismus
und Somnambulismus gehört hierher, und zeigt uns eine
Fülle von Offenbarungen über den geheimnissvollen Zusammenhang
der Seele mit der Aussenwelt, den wir ahnen, aber
noch nicht verstehen. Die Phrenologie hat damit begonnen,
die geistigen Fähigkeiten des Menschen zu lokalisiren und
an ihren Organen zu erkennen, womit ein bedeutender
Schritt „vorwärts" in die Geisterwe]t gemacht ist.
Unter dem Einflüsse seiner besonderen Bildung und
einwirkenden Organe ist der Mensch nicht frei zu denken,
nämlich zu denken, was er will, und seinen Gedanken diese
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1876/0511