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548 Psychische Studien. III. Jahrg. 12. Heft. (December 1876.)
die Ohnmächtige wieder zu sich, und meine Einsprache
gegen Portsetzung der unerquicklichen Sitzungen fand nur
Erledigung durch die erneuerte Hoffnung des Mediums
selbst. Ich übergehe Einzelheiten in den Versuchen der
Materialisation, die, an sich unbedeutend, reichen Stoff für
Beobachtung der zeitweiligen Disposition des körperlich
zarten Organismus darboten. Eines Abends hoffte ich die
Erfüllung meines Wunsches, aber eine frische Blume wurde
mir aus der Oeffnung zugeworfen, wo ich das Auftauchen
des Gesichts erwartete. Bald nach dieser Sitzung aber erschien
endlich die Ersehnte, aber wie verschleiert und nur
auf einen Moment, doch die Wirkung war auf uns natürlich
beglückend, und mit Freude gab ich mein Geschenk.
Ich hoffte nun kühn auf weitere Fortschritte, aber leider
wurde ich getäuscht. Das öftere Erscheinen des Gesichtes
erweckte allmählig in den anderen Mitgliedern den Wunsch,
einen verstorbenen Bekannten zu erkennen. Diess kreuzte
meinen Plan, denn ich hatte stets vermieden, dem sich entwickelnden
Strom besondere Wünsche oder Bestellungen
entgegen zu setzen, und sah meine Balm als einfacher unparteiischer
Forscher ungern von zärtlichen Wittwen
blockirt. Diess störte die Harmonie, ohne welche kein Erfolg
denkbar. Meine Autorität als Führer des Zirkels wu)de
getrübt, und nach manchen vergeblichen Versuchen; ins alte
Geleis zu lenken, gab ich diese Sitzungen auf, weil ich fest
überzeugt war, dass diese voreiligen Forderungen im direkten
Widerspruch mit der Entwicklung standen, Die zarte,
eben aufblühende Pflanze wurde zertreten durch Ungestüm
und Selbstsucht — wie wohl in vielen Fällen!
Nun, nach mehreren Monaten, kam meine Ferienreise
heran, und ich ging zunächst nach London. Alfred Firman
war inzwischen nach Paris gegangen, aber von der Mutter
hatte ich nichts gehört, und ich vermuthete ihre Rückkehr
nach New-York. Plötzlich erschien sie in meinem Hotel
(der Sohn hatte ihr meine Adresse mitgetheilt), und in
einem so kläglichen Zustande, dass es mich schmerzlich berührte
. Wo ich die Grenzen moralischer Verkommenheit
und kindischer Ungeschicklichkeit im Taumel der Welt
ziehen sollte, war mir aufs Neue ein Problem. Kein überzeugender
Beweis unehrlicher Handlungsweise war mir,
trotz strengen Nachforschens, zugekommen; die seltene me-
diumistische Begabung war zweifellos — und dennoch ein
grausames Elend! — Wenn ich nicht die Aussicht in mir
befestigt hätte, dass ein Sterblicher in ein solches Netz von
Ungemach verwickelt sein könnte, dass ein herzloser, oberflächlich
Beurtheilendcr die Schuld auf den Leidenden wirft,
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