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Alexander Hoffers: Ueber Phrenologie.
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lehre thatsächlich zukommt. Bei dem Streben nach Vollendung
und der Sucht nach einer Uebertreibung der natürlichen
Resultate, gelangt die Erziehung, selbst ^enn sie
den speciellen Charakter des Individuums kennen gelernt
hat, nicht selten zu einer Widernatürlichkeit, welche dem
Wahnsinn gleichkommt.
Wir unterscheiden hierbei den Wahnsinn der Einbildungskraft
, den Wahnsinn des Gemüths und den Wahnsinn
der instinctiven Eingebung.
Abgesehen von dem Falle, wo die Intelligenz eine
vollkommene ist und Alles umfasst, — was als ein Wunder
zu betrachten, — wird das Genie fast immer das Ergebniss
der äussersten Entwicklung einer besondern Kraft resp.
Fähigkeit sein, wie bei den grossen Feldherren, Mathematikern
, Malern, Musikern etc. Ebenso verhält es sich
fast immer bei der Mehrzahl der zufälligen Geistesstörungen
; ihre Ursache liegt in der Ueberreizung einer
Fähigkeit; nur äusserst selten stösst man auf ab solute
Geistesstörungen.
Obgleich der Geisteskranke meist schon im vernünftigen
Zustande den Keim zum Wahnsinn in sich trägt, ist immer
noch ein äusserer Vorfall, ein Schmerz, eine tiefe Bewegung
nöthig, um ihn zum äusseren Ausbruch zu bringen.
Die Phrenologie vermag in ihrer Anwendung auf
Heilung Geisteskranker wahrhaft grossen Nutzen zu
stiften: denn sie erkennt nicht nur die Ursachen des Wahnsinnes
, sondern sie giebt auch die Art und Weise der Behandlung
und Heilung an, was hundertfache Erfahrung
gelehrt hat.
Eine glückliche Harmonie der drei Grundkräfte im
Menschen ist zur Erreichung grosser Erziehungsresultate
unerlässlich.
Die Herrschaft der thierischen Triebe erzeugt stürmische
Leidenschaften und Verbrechen; die Herrschaft der Gefühle
verleiht Sanftmuth, aber mit Schwäche verbunden.
Das Uebergewicht des Verstandes hingegen gewährt spekulativen
Geist und Ideenreichthum, aber ohne Resultate;
wie selten vereinigt sich aber in einem Individuum Alles,
und dennoch ist das für Viele kein unerreichbares Ziel.
Die Temperamente haben auf den Charakter des
Menschen keineswegs Einfluss, wie man unberechtigter
Weise häufig früher annahm, denn das Temperament
richtet sich nach dem Gehirn und nicht umgekehrt. Ein
sanguinisches Temperament beobachtet man gewöhnlich
bei starkem Nacken und bei runden Köpfen mit hervortretenden
Seitenparthicn. Diese Gestaltung allein giebt
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