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560 Psychische Studien. III. Jahrg. 12, Heft. (December 1876.)
heftige Leidenschaften und tollkühnes Ungestüm — die
Attribute des sanguinischen Temperaments! Das lym-
pathische Temperament kommt grösstentheils bei schlankem
Nacken und eckigem abgeplattetem Kopfe mit massigen
Seitenparthien vor. Diese Gestaltung des Hirns allein
erzeugt die träge Apathie, die Weichlichkeit und die Schwäche
der Leidenschaften, welche man als Zeichen deslympathischen
Temperaments kennt Das cholerische Temperament
zeigt einen aufgerichteten Kopf, eine hohe dominirende
Stirn und im Allgemeinen wohlproportionirte Schädelformen.
Diese Gestaltung bekundet lebhafte Einbildungskraft, Begeisterung
, Empfänglichkeit, Enthusiasmus und die anderen,
dem cholerischen Temperament zugeschriebenen Geistesanlagen
. Die Beziehungen, in denen diese drei Temperamente
mit der Entwickelung der ihren Charakter bestimmenden
Organe stehen, geben hinreichenden Gruud in Abrede zu
stellen, dass sie die Macht haben, die natürlichen Anlagen
zu modificiren, oder die Wirksamkeit der Geistesorgane
zu ändern. Auf diese Weise gewinnt die Erziehung an
Macht und Bedeutung; denn, indem sie auf die Gehirn-
organe einwirkt, vermag sie nicht nur den Charakter und
seine Organisation, wenn auch nur allmälig, umzuwandeln,
sondern in Folge der Erblichkeit kann sie auch die Neigungen
und Intelligenzen künftiger Geschlechter vorbereiten.
Weil nun, wie bewiesen worden ist, der Mittelpunkt
der Empfindungen im Gehirn seinen Sitz hat, so ist auch
jeder TLeil desselben der Sitz einer Klasse von Fähigkeiten
. Die Stirn ist der Shz der Intelligenz. Bei den
Idioten und den Thieren ist diese Parthie abgeplattet
und von der Nasenwurzel an ohne Entwicklung. Häufig
scheint die Höhe der Stirn in Folge der übermässigen Ausbildung
der Wahrnehmungs -Organe gedrückt, aber von
dieser Gestaltung wollen wir jetzt nicht sprechen, da so
organisirte Menseben im Allgemeinen nicht ohne Begabung
für die Wissenschaft sind.
Während die Organe an der untern Stirn die allgemeinen
Kenntnisse und die Eindrücke jeder Art vermitteln
, kennzeichnen die Organe an der obern Stirn das
Genie; aber ohne die Mitwirkung der Wahrnehmungsorgane
würden sie sich im Irrtimm verlieren und lediglich zu gehaltlosen
Spekulationen führen. Aus dem einheitlichen Zusammenwirken
mehrerer Organe entsteht erst die Kraft,
und die höchste Gewalt des Geistes entspringt aus der
harmonischen Entwicklung aller intellektuellen Fähigkoiten.
Bei allen Menschen von bedeutendem Genie beobachtet
man, dass die Wahrnehmungsorgane mit der Nasenwurzel
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