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76 Psychische Studien. IV. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1877.)
die ganze Tischgesellschaft erfuhr die G-eschichte des jungen
Kaufmanns, seiner Lehrjahre, seiner Ideinen Verirrungen,
endlich auch eine von ihm begangene kleine Sünde an der
Kasse seines Principals. Ich beschrieb ihm dabei das unbewohnte
Zimmer mit geweissten Wänden, wo, rechts yor
der braunen Thür, auf oinem Tuche, der schwarze Geldkasten
gestanden u. s. w. Es herrschte Todtenstille in der
Gesellschaft bei der Erzählung, die ich nur zuweilen mit
einer Frage unterbrach, ob ich Wahrheit rede ? Jeden Umstand
bestätigte der Sehwerbetroffene, sogar, was ich nicht
erwarten konnte, den letzten. Da reicht' ich ihm, gerührt
von seiner Aufrichtigkeit, freundlich die Hand über'n Tisch
und endete. Er verlangte nachher meinen Namen. Ich gab
ihn. Wir blieben plaudernd bis Mitternacht beisammen.
Er lebt vielleicht jetzt noch."
Weiterhin bemerkt H. Zschokke, dass er wohl nicht der
Einzige sei, der diese seltsame Sehergabe besitze, wie er
dann mit einem alten Tyroler zusammengetroffen sei, der,
ohne ihn zu kennen und ohne von ihm gekannt zu sein,
im Beisein von Bauern und zweier seiner (Zschokke's) Söhne
von seinen Bestrebungen und Erstrebungen zu erzählen
wusste, ohne sagen zu können, wie er zu diesem Wissen
gelangt sei.
Es dürfte hier angemessen sein, auf den zweiten Theil
der Zschokke" sdien Selbstschau aufmerksam zu machen,
welcher eine ziemlich ausgeführte „Welt- und Gott-Anschauung
enthält, die keineswegs nur eine besonders zugestutzte
Form pantheistischer Modephilosophie, sondern einen
immerhin eigenartigen Theismus darstellt, dem der Gottesgeist
nicht in der Welt aufgeht, der die höhere, wenn auch
naturverwandte Wesenheit des geschaffenen Geistes, seine
Freiheit und Unvergänglichkeit festhält. In merkwürdiger
Weise präludirt Zschokke, hierin Baader begegnend, dem
Spiritualismus unserer Tage, wenn er sich (IL, 323—324)
also vernehmen lässt: — „Wenn ich einerseits wahrnehme,
dass der Geist des Menschen den Lohn seines Strebens nach
Vervollkommnung nicht in Aussendingen, sondern eben
in der Vervollkommnung selbst findet; andererseits, dass
weder in ihm, noch in der Natur ausser ihm, ein sprungweiser
Uebergang vom Tieferen zum Höheren, von niederer
zur grösseren Entfaltung, erkannt wird, sondern ein all-
m ä 1 i g e s, stufenweises Fortschreiten vom Gleichartigen zum
Gleichartigen: so erkenn' ich, dass der Geist nach seiner
Trennung von der irdischen Hülle, oder nach dem Leibestode
, durchaus derselbe, mehr oder minder veredelte,
bleibt, der er gewesen ist. Die Stufe, welche er auf der
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