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116 Psychische Studien, IV. Jahrg. 3. Heft. (März 1877.)
sonst nur [auf die natürlichste Erklärung dringende Dr.
med. Loewenthal mit der gläubigsten Miene von der "Welt,
was er sicher keinem Spiritualisten, am wenigsten aber den
Berichten der Wunder von Lourdes und Marpingen geglaubt
haben würde! Anstatt dieses Wunder der plötzlichen
Heilung durch den Nachweis der krankhaften
Einwirkung des Zuaven auf seinen Kranken nach dem
Grundsatze: „similia similibus curantur" natürlich zu erklären
, lässt er es unnatürlicher Weise als glaubhafte gesunde
Thatsache ganz auf sich beruhen. Ist denn nicht
jene rein geistige Behandlung des Zuaven, die Dr. K
doch selbst betont, etwas Spiritistisches ? Aber er hat eben
den Baum vor lauter Walde nicht gesehen.
Die Prophezeihungen einer Kranken, die in ihren
Paroxismen stets den Arzt mit ihren geschärften Sinnen
kommen hörte, bis er, statt mit rollendem Wagen und in
Stiefeln, zu Fuss und leise in Socken zu ihr geschlichen
kam, von wo ab sie ihn nicht mehr entdeckte, waren leider
alles andere als die eines echten Mediums, das sich schwerlich
von einem auf Socken schleichenden Arzte als falsche
Prophetin überführen lassen würde.
Seine eigenen weiteren Beispiele, nach denen Leute
aus ungebildeten Ständen während ihrer Anfälle Gedichte
und Lieder nicht bloss recitirt, sondern sogar verfasst haben
und sich plötzlich fremder Sprachen wieder erinnerten und bedienten
, die sie in ihrer Jugend gelernt und seitdem ganz vergessen
hatten, müssten ihn über diese Art von sonst ganz ungewöhnlicher
Steigerung des Gedächtnisses, der Vorstellungs-,
Urtheils- und Combinationskraft des Gehirnes stutzig machen,
besonders wenn ihm Fälle vorliegen von Mittheilungen
von Gedichten, Romanen und Sprachengaben, welche niemals
im Erfahrungskreise eines solchen Gehirns gelegen
haben, wie sie die „Bibliothek des Spiritualismus für Deutschland
" (Leipzig, Oswald Mutze) vielfach enthält.
Mithin reicht seine ins Allgemeine und zum Mediumismus
gesteigerte Veitstanz-Krankheit durchaus nicht hin
zur Erklärung wirklich mediumistischer Phänomene. Sein
„psychisches Gontagium,u das er als geistige Ansteckungskraft
mit zu seiner natürlichen Erklärung herbeizieht, ist
sogar das unerklärlichste und unnatürlichste Characteristi-
kum seiner chorea major. Auch die Vermischung der verschiedenartigsten
Formen derselben mit hysterischen Zuständen
des weiblichen Geschlechts wird noch kein einziges
richtiges Medium zu Stande bringen mit allen den Fällen,
welche allein unsere „Psychischen Studien" durch 3 Jahrgänge
hindurch ihren Lesern vorgeführt haben. Selbst
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