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212 Psychische Studien. IV. Jahrg. 5 Heft. (Mai 1877.)
lange auf dem Herzen, die ich nun gleich vorbrachte:
„Warum manifestiren hohe reine Geister oft durch niedrige,
ja betrügerische Medien? — dies wendet mich oft mit Abscheu
vom Ganzen als von unlauterer Quelle ab!" — Nun
zog sie eine Blumenguirlande von Schönheiten, Menschenliebe
athmenden Gedanken herauf, dass ich meine Beschämung
über meine rohe Frage bald in reines Entzücken
übergehen fühlte. Die zunehmende Innigkeit zog mich
näher und näher an dies räthselhafte Wesen und ein Gefühl
, als hätte eine verstorbene liebende Schwester sich mir
genähert, ihre Verwandtschaft vorsichtig verbergend, um die
Trostesworte nicht in Aufregung untergehen zu lassen, erfüllte
mich so, dass ich Mühe hatte den Strom nicht zu
unterbrechen. Könnte mein Gedachtniss die Worte getreu
wiedergeben, die Antwort -würde eine der schönsten auf
die Frage: was Gutes kommt daraus? ergeben. Der Grundton
war folgender: „wir sind beglückt, wenn wir zu euch
gelangen können und suchen unsere Bahn über Medien,
wie über Steppsteine, ohne diese selbst zu sondiren. Aber
höre, theurer Freund, wo ihr verdammt, da haben wir Mitleid
, denn wir sehen, Wo die armen Strauchelnden den Fehltritt
thaten; wir sehen die Versuchung, ihr bloss die That;
wo ihr den Stein erheben möchtet, fühlen wir die Neigung,
den armen Strauchelnden vor weiterni Gleiten nach dem
Abgrund zu schützen!" — Jeder denkende und fühlende
Leser wird mit mir diese wundervolle Eröffnung anregender
Gedanke" über wahre Nächstenliebe empfinden und zugestehen
, dass mir diese Sitzung mehr wie eine blosse Zugabe
interessanter Erfahrungen war. Ich fühlte gleichzeitig, wie
nie vorher, die freundliche Nähe dieses geheimnissvollen
Wesens und fragte, als wenn sie selbst voi mir stände:
Willst Du mir dein Bild photographisch geben? Sie erwiderte
: „Ja, ich glaube es wird gelingen, gehe morgen zu
Mr. Hudson und vielleicht ist es mir erlaubt deinen Wunsch
zu erfüllen. (Diese Hindeutung auf eine Gunst von höherer
Hand ist höchst charakteristisch in den meisten Versprechungen
ähnlicher Natur). Ich muss mein Medium nun verlassen
, adieu, lieber Freund, Gott segne dich!" waren die
letzten Worte und nach einigen Zu'&ungeu, dem Erwachen
gewöhnlich 'vorangehend, sehlug Mrs. IV. die Augen auf,
und sagte: „entschuldigen sie, ich glaube, fast wäre ich eingeschlafen
, haben sie endlich etwas geschrieben?** und damit
zog sie meinen Bogen nn sich. Nein, sagte ich, aber
sie hat göttlich gesprochen! Was? meinte sie und sali
wie betroffen nach ihrer Uhr. Mein Gott, es ist halb sechs
und ich hatte eine wichtige Verabredung! was ist zu thun?
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