http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1877/0380
372 Psychische Studien. IV. Jahrg. 8. Heft. (August 1877.)
wollte nach etwa 1/a Stunde nicht erwachen. ..Soll ich Sic
durch Gegen striche wecken?" fragte ich. Sie verbat sich
dieses, weil es ihr nicht gut bekommen würde, sie werde
erwachen, wenn sich ihr Bruder entferne; er allein habe sie
im Leben in somnambulen Schlaf bringen können, manchmal
schon, wenn er ihr nur die Hand reichte oder sie, auf
einem Schemel zu seinen Füssen sitzend, den Kopf auf seine
Kniee legte. Bald erwachte sie, sperrte die Augen weit
auf und fragte, wie lange sie geschlafen habe, denn sie wisse
dieses nicht. Sie sah auch jetzt, aber nur ein paar Augenblicke
, noch den Geist, der alsobald verschvand.
Fichte schilderte Julie v. G. 1870 als einfaches, gut-
müthiges, anspruchslosses Wesen und sie spreche von ihrem
Zustande und täglichen Erscheinungen mit solcher Ruhe
und einfacher Zuversicht, dass an ein Täuschenw ollen von
ihrer Seite nicht zu denken sei; ihr Glaube gewahrt ihr
friedliche Unbefangenheit und inneres Glück. Ich kann
dieser Charakteristik mit dem Zusätze beistimmen, dass seit
dem Tode ihres Bruders sie fast immer in tiefer Traurigkeit
befangen ist, — aber ihr Wohlwollen, ihre Freundlichkeit
, ihr Streben, Andern Freude zu bereiten, leidet dadurch
keinen Eintrag. Was ihre Wahrnehmungen und Torstellungen
betrifft, so ist hier, wie so häufig, schwer zu entscheiden
, wie weit sie in der "W irklichkeit. wie weit in der
Phantasie begründet sind — das Schauen ihres Bruders
und den Verkehr mit ihm möchte ich für zuverlässig halten,
ein Anderes ist es mit ihrer Witterungsprophezeihung und
ihrem Horoskopstellen, auf welches Julie v. G. so grossen
Werth legt.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1877/0380