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II. Abteilung.
Theoretisches und Kritisches.
Ein psychologisches Problem.*)
Der Verfasser des nachstehenden Artikels, lieber Leser,
wünscht nichts sehnlicher, als von dem Verdacht des Aberglaubens
freigesprochen zu werden; er wird von seinen
Freunden sogar spottweise der Freigeist genannt, weil er
nicht an die Existenz der „mehreren" Dinge zwischen Himmel
und Erde glaubt, von denen unsere Weltweisheit nichts
wissen soll. Denn obgleich er an einem Sonntag das Licht
der Welt erblickt hat, steht er doch in gar keiner Beziehung
zu der Geisterwelt, die er nur aus den Vorführungen des
Signor Agoston und aus den dramatisirten Feenmärchen des
Herrn Görner kennt. Ich kann mich der Meinung nicht
entschlagen, dass sich jene räthselhaften Vorgänge, von
denen man einander so oft und so viel erzählt, entweder
auf einen gewöhnlichen Betrug, oder — was namentlich bei
Kranken und Krankenwärtern zutreffen möchte — auf eine
angeregte Phantasie und eine überreizte Nervenstimmung
zurückführen lassen.
Aber gerade, weil ich mich in der Frage über das Sein
oder Nichtsein einer Ideenassociation, eines räthselhaften,
telegraphischen Verkehrs zwischen zwei Seelen für das Nichtsein
desselben entscheide, gerade deshalb erscheint mir der
nachstehende Fall als eine für mich unlösbare Sphinx.
Ich war als Schauspieler an dem Stadttheater der Universitätsstadt
Heidelberg engagirt und lernte daselbst eine
sehr liebenswürdige junge Dame kennen, eine Collegin, die
ich Fräulein K. nennen will. Sie war aus einer grossen, sehr
bekannten Familie, und da die Eltern keine Vertreterin
ihres Namens auf der Bühne sehen wollten, so erhielt sie
die Einwilligung zu ihrer Kunstthätigkeit nur unter der Bestimmung
, dass sie ihren wahren Namen verheimliche und
ein Pseudonym annehme. Durch meine freundschaftliche
• Verbindung mit der Dame wurde ich allmälig in ihre Ver-
*) Entnommen aus* „Das Neue Blatt,« Nr. 45, 1877. —
Die Red.
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