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Gr. C. Wittig: Kritik einer Unsterblichkeitskritik. 451
Kritik einer Unsterblichkeitskritik.
Ein Correspondent F. K sagt in der „Illustrirten
Zeitung" No. 1782 vom 25. August er, bei Gelegenheit der
Anzeige der so eben in Jena bei ff. Costenöble erschienenen
— „Entwicklungsgeschichte der Vorstellungen
vom Zustande nach dem Tode, Dargestellt von Edmund
Spiess": — „Es ist ein eigentümlicher, in der mensch-
lichen Natur tiefbegründeter Zug, über die ,letzten Dinge',
d. h. Tod, Auferstehung und Unsterblichkeit, zu grübeln.
Der Gedanke, dass es mit dem Leben eines grossen Mannes,
einer geliebten Persönlichkeit nicht ganz aus sein könne,
sowie die Beobachtung, dass hier auf Erden so oft der Böse
glücklich, der Gute elend sei, endlich die Bemerkung, wie
unvollkommen im Ganzen alles irdische Leben und Streben
ist: diess Alles trägt besonders dazu bei, die Hoffnung auf
ein schöneres Jenseits, trotz aller Einreden des ruhig-
nüchternen Verstandes, aufrecht zu erhalten. Denn freilich
bringt dieser so viel gewichtige Gründe gegen die Möglichkeit
und Denkbarkeit einer persönlichen Fortdauer vor, dass v
alle Ansichten darüber nur als Phantasien des Glaubens
anerkannt werden können. Der Verfasser des vorliegenden
umfangreichen Werkes, der seine Begabung für vergleichende
Religionsgeschichte schon früher durch eine gelehrte Nebeneinanderstellung
christlicher und heidnischer Sentenzen bewiesen
hat, führt uns hier in populärer Sprache die Vorstellungen
der verschiedenen Völker über Ursprung und
Bestimmung der Seele, über Tod und Je^eits vor, und besonders
berücksichtigt er die Indianer, Aegypter, Indier,
Perser, Griechen, Römer und Juden. Auch Kelten, Germanen
und Slaven sind nicht vergessen. Mit Benutzung
zahlreicher alter und neuer Quellen sucht Spiess nachzuweisen
, dass die vergleichende Völkerpsychologie und Religionswissenschaft
den allgemeinen Glauben der Völker an
die Fortdauer der Seele ergebe, wenn auch das ,Wie< noch
so verschieden ausgemalt werde. So gern wir auch dem
Verfasser dieses Ergebniss der Untersuchung zugeben, so
müssen wh uns doch entschieden gegen den Schluss, den
er daraus zieht, erklären Weil, meint er, die Menschheit
ein Jenseits allgemein annehme, existire es auch. Als ob
nicht ebenso nothwendig die Sonne sich um die Erde drehen
müsste, weil alle naiven Menschen es annehmen! Doch wir
wollen auf diese Frage hier nicht weiter eingehen; das Buch
bleibt auch für Leute, die in dieser Frage skeptischer sind
als Spiess, eine sehr schätzbare, weil lehrreiche Leetüre." —
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