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Bloede: Glaubensbekenntniss eines Spiritualisten.
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dingung dieser Wiedergeburt ist nicht der religiöse Glaube
an, sondern das durch thatsächlichen Beweis erlangte
Wissen von der Fortdauer des geistigen Einzelwesens über
die flüchtige Erscheinung des natürlichen Lebens hinaus,
und diesen "Beweis zu liefern, dieses Wissen zum Gemeingut
der Menschheit zu machen, ist die nächste grosse Aufgabe
des modernen Spiritualismus. Die sozusagen instinctive
Erkenntniss (Walten des „Unbewussten") dieser Aufgabe
und der unerlässlichen Notwendigkeit ihrer Lösung ist
das Geheimniss:
4) des unerhört raschen und universellen Wachsthums
dieser geistigen Bewegung und ihrer Verbreitung über die
ganze Erde, von welcher die gesammte Geschichte der Menschheit
kein zweites Beispiel aufzuweisen hat. Durch diese That-
sache aber hat der mod. Spiritualismus den unumstösslichen
Beweis für seine Zeitgemässheit und Lebensfähigkeit abgelegt.
Seine Theorie wie seine Praxis hat sich, noch keine 30
Jahre alt — denn mit Recht sind alle früheren Erscheinungen
ähnlicher Art als sporadisch anzusehen, und die eigentliche
Geburtszeit des modernen Spiritualismus auf die Rochester
Klopftöne zurückzuführen — bereits über die ganze Erde
ausgebreitet* Seine Anhänger in allen Theilen dieser zählen
nach vielen Millionen (eine genauere Abschätzung ist aus
einem noch zu berührenden Grunde, selbst in einem Lande
wie Amerika, unmöglich); er hat eine kaum mehr zu übersehende
Literatur hervorgerufen; er gebietet in allen Ländern,
selbst die der zurückgebliebenen, der romanischen Race in
Mexiko und Spanien nicht ausgenommen, über eigene Zeitschriften
, deren Zahl sich auf 30 bis 40 beläuft; er hat
Tausende von seinen Zwecken gewidmeten Vereinen und
Gesellschaften in's Leben gerufen; er besitzt ein ganzes
Heer von Vertretern und Verbreitern in Schrift und Rede;
er hat sich nicht nur in den unteren und mittleren Schichten
des Volkes einheimisch gemacht, sondern sich in den höchsten
Sphären menschlicher Gesellschaft Eingang verschafft, und
zählt selbst in den sich abschliessenden Reihen der strengen
Wissenschaft eine Phalanx von Vertheidigern, unter denen
sich zahlreiche Namen von unverwerflichem Klange befinden.
Aber seine Hauptstärke (und diess ist der Grund, weshalb
eine genauere Abschätzung seiner Anhängerzahl geradezu
unmöglich ist) ist in seiner Ausbreitung in der Familie und
im häuslichen Kreise zu suchen, vermöge deren er mit
Recht eine unsichtbare, das gesammte Erdenrund umfassende
Kirche genannt werden kann. Diese unsichtbare Kirche
begreift jeden Glauben ugd jeden Unglauben, jedes religiöse
und philosophische "System in sich, sie vereinigt Atheisten,
Psychische Studien, Dezember 18^7. 36
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