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564 Psychische Studien. IV* Jahrg. 12. Heft. (Dezember 13770
tungen von Erscheinungen haben in ihnen jenen Umschwung
bewirkt, Erscheinungen, die sie nach den ausdauerndsten
und strengsten Prüfungen nicht anders mehr zu erklären
im Stande waren, als durch die Annahme des Spiritualismus
, das Zugeständniss der Fortdauer der menschlichen
Individuen nach dem irdischen Tode und deren verschiedenartige
Einwirkungen auf irdisch Lebende. Vor zwei, drei
Jahrhunderten und weiter zurück war uer Glaube an den
Geisterverkehr und das Hereinragen einer jenseitigen Geisterwelt
so weit verbreitet und so fest gewurzelt, dass er bei
der vorherrschenden Gemüths- und Phantasie-Richtung der
Massen des Volkes zu den ausschweifendsten und grellsten
Excessen geführt hatte, wogegen sich nothwendig eine starke
Reaktion erheben musste. Der Fortschritt der Natur- wie
der Geisteswissenschaften, wenn auch nicht ohne Beimischung
von Einseitigkeiten sich vollziehend, begünstigte
diese Reaktion in nicht geringem Maasse. Der von England
und Frankreich her sich verbreitende Deismus begünstigte
gleichfalls diese Reaktion, hielt sich aber doch
noch in gemessenen Schranken. Diese Schranken durchbrach
aber vollends der Materialismus in England und
Frankreich, indem er den Unglauben an die Unsterblichkeit
als die Krönung der echten und gesunden Aufklärung
proklamirte. In Deutschland hielten zwar Leibniz und
Kant, jeder in seiner Weise, den Glauben a,n die Unsterblichkeit
aufrecht, aber besonders der Letztere suchte sich
das Eingehen auf Untersuchungen über Geisterverkehr möglichst
vom Leibe au halten.*) /. ö. Fichte blieb sogar noch
da, als er seinen subjektiven Idealismus in einen idealistischen
Pantheismus umgestaltete, von einem Anfluge Kantischer
Ideen beherrscht in seiner Lehre von der UnVergänglichkeit
derjenigen geistigen Individuen, welche in ethischer
Bewährung in das Jenseits übergingen. Erst die Schellingisch-
Heget'sehe Philosophie mit ihren Seitenzweigen der Ohtraschen
, Schleiermacher'sehen, Wagner7schon etc. Richtungen
untergrub in Deutschland den Glauben an die Unsterblichkeit
in weiten Kreisen der Gebildeten, wiewohl Schelling
denselben in den späteren Gestaltungen seiner Philosophie
wieder kräftig zu stützen suchte. Aber die Geister, die er
unvorsichtig gerufen hatte, wurde er nicht los und konnte
dem Hereinbrechen des Materialismus in Deutschland keinen
wirksamen Damm entgegensetzen. Die geistigen Enkel
•) Kaufs S. Werke von Hartenstein, 2. Auflage, II, 317—381. —
Anthropologie von L H. Fichte, 3. Auflage 8.393—44. — Allgemeiner
literarischer Anzeiger. Jahrgang 1874, S. 1—92 ff.
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