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566 Psychische Studien. IV. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1877.)
Gestalt gewinnen, als wenn er ihm durch experimentellen
Beweis abgezwungen würde. Zum Gewissesten, was die
h. Schrift n. Testamentes der Welt überliefert hat, gehört
, dass Jesus die Unsterblichkeitslehre aufs innigste mit
seiner erhabenen Ethik und beide mit der Gotteslehre verschmolz
, so dass, wenn Autorität entscheiden soll, Diejenigen
als Thoren erfunden werden, welche die Autorität Jesu, des
Menschensohnes, des grössten Weltumgestalters der Menschheitsgeschichte
, des Erlösers aus den Banden der intellektuellen
und moralischen Finsterniss, der Autorität eines
Spinoza, Hegel, Feuerbach, Büchner nachsetzen. Wie es nun
vollgültige Glaubensgründe für die Unsterblichkeit gibt, so
gibt es auch rein philosophische Gründe für die Unsterblichkeitsüberzeugung
, die ihre volle Kraft in sich selbst
tragen. Denn wenn nur die theistische Weltanschauung
der menschlichen Vernunft Genüge thun kann, da jede
andere an unausgleichbaren Widersprüchen leidet, wie der
gemeine Pantheismus, der Naturalismus, der Materialismus,
so muss jeder tieferen Betrachtung einleuchten, dass Gott
als absolute Persönlichkeit auch die unendliche Liebe
ist, folglich Gott nicht als der Moloch, der Menschenopfer
fordert, nicht als der Saturn, der vom Frasse seiner
Kinder lebt, gedacht werden kann, sondern als der Liebhaber
des Lebens, der die geistigen, persönlichen Wesen nur
zur Unvergänglichkeit geschaffen haben kann, da seine
Liebe, weil sie ewig ist, auch unvergängliche Gegenstände
seiner Liebe schafft, welche sich zuhöchst nur an dauernden
Persönlichkeiten bethätigen kann.*) Der volle und voll-
*) Wenn ein neuerer Kritiker sagt: wenn ein Gott existirte, so
müsste Alles, ohne Ausnahme, zweckmässig sein, was aber nicht der
Fall sei, so kann er mir von einem beschränkten, falschen Begriff des
Zweckmässigen aus geurtheilf haben. Von der Einsicht in die Wahrheit
des Theismus aus, ist es gewiss, dass Alles dem höchsten Zwecke
des Universums entsprechen muss, wenn es auch der beschränkte,
unvollkommene Verstand der Menschen noch nicht in allem Einzelnen
zu erkennen vermag. Was unmittelbar nicht zweckmässig scheint,
kann doch mittelbar, auf den höchsten Weltzweck bezogen, zweckmässig
sein, ja muss es sein und kann und muss, je mehr der Mensch
der Erkenntniss des Einzelnen aus dem Zusammenhange des Ganzen
sich nähert, einem vollkommenen als dem hö'chston Zwecke dienend
von ihm erkannt werden Alle scheinbaren Instanzen gegen die
Zweckmässigkeit wurzeln in den von der Verleihung der Freiheit des
Willens an die geistigen und der Selbstwirksamkeit der Natur durch
Gott möglich gewordenen Conflikten, Verwickelungen und Störungen.
Gerade die Zweckmässigkeit des Alls erheischte jene Verleihung von
Seiten Gottes, und gerade deren Versagung wäre das Zweckwidrige
gewesen, weil ohne sie Leben des Alls, Individualität, Tugendübung,
ethisches Denken, Wollen, Handeln und Bilden, Entwickelung, Geschichte
, Vollendung des Ganzen und Einzelnen unmöglich gewesen
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