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568 Psychische Studien. IV. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1877.)
gleichsam mit der Nase auf das Dasein Gottes gestossen
werden, sonst wollen oder können sie nicht an dasselbe
flauben, wie unsere Materialisten naiverweise, um an die
ieele glauben zu können, sie ihren Sinnen dargeboten wissen
wollen. Mit dem Vorherrschen des Empirismus in den
slavischen und romanischen Ländern, in England und
Amerika hängt es denn auch guten Theils zusammen, dass
dort der Spiritualismus orler Spiritismuh weit mehr in die
gebildeten und selbst in die gelehrten E'reise eingedrungen
ist als in Deutschland, wo besonders die letzteren mit
wenigen Ausnahmen noch immer die spiritistische Literatur
theils ignoriren, theils mit feiger Scheu un besprochen lassen,
theils ohne Kenntniss verdammen. Wenn nun der Spiritualismus
bezüglich der Unsterblichkeitsfrage dem gläubigen
Christen (wie den Gläubigen jeder andern monotheistischen
Religion) und dem theistischen Philosophen*) nicht eine
neue Entdeckung, sondern nur eine Bestätigung seiner
Ueberzeugung gewähren kann, so dient diese doch zur Bestärkung
seines Glaubens und darf in dieser Rücksicht
keineswegs unterschätzt werden. Wirft man aber einen
Blick auf die ungeheure Ausdehnung des Unglaubens oder
doch des Zweifels an die Unsterblichkeit, welche seit zweihundert
Jahren, und am meisten wohl im laufenden Jahrhundert
, durch die Lehren des Pantheismus, Naturalismus
und Materialismus erwirkt worden ist; so darf man die Ansicht
Derjenigen, welche im Hervortreten der spiritistischen
Erscheinungen in allen civilisirten Ländern die Hand der
Voi sehung erblicken wollen, nicht leichtsinnig von der Hand
weisen. Man kann sehr wohl des Glaubens sein, dass es
seinen Grund in den Gesetzen der göttlichen Erziehung
des Menschengeschlechtes hat, dass gerade in der jetzigen
Krisis der Menschheit, im 19. Jahrhundert, nachdem Pantheismus
, Naturalismus, Materialismus bis zur Erschöpfung
ihre blendenden und verblendenden Triumphe ausspielt
haben, die spiritualistisehen Erscheinungen in großartigen)
Maaszstab hervortreten sollten. Grossartig ist diese Erscheinung
wenigstens in Rücksicht ihrer Ausbreitung, da
die Zahl der von ihr Ergriffenen in allen Weltt heilen nicht
leicht unter zehn Millionen geschätzt werden kann, wobei
die Hunderte von Millionen, welch«» ohne Berührung mit
*) Auch der sogenannte PersönUehkeitspantheismus ist eine Form
des Theismus, dessen bedeutendster Vertreter in neuerer Zeit ScheHhtg
ist, und dem Weisse, Chr. Herwann, Fechner, Lotze, Trendelenbvrg, wie
diesem Kym, gefolgt sind, zum Theil ohne sich ihres Hauptes zu
erinnern. Vergl. Metaphysische Untersuchungen von Dr, A, L. Kym,
S. 347 ff.
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