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70 Psychische Studien. Y. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1878.)
sagte ich, „Sie sind Geschäftsmann und wissen's besser!"—
und dachte: ,,zwischen Wissen und — Drucken ist eine
grosse Kluft!" — Wenn ich so nun einige Punkte aus
meiner Rundschau den Lesern vorhielt, so möchte ich die
wichtigere Frage, den Eindruck meiner so weitgreifenden
Erfahrungen auf mich selbst und die sich bildende Ansicht
daraus, wenigstens andeuten, und da darf ich mir die
Wirkung nicht verhehlen, dass sich steigerndes Erstaunen
und Verwirrung Schritt halten mit gesteigertem Interesse,
Der anfangs verblüffende Eindruck des „Wunders" ist dahin,
wenigstens durch Gewohnheit abgestumpft, und wiederholt
sich nur zuweilen, wenn ich die Gründe der Gegner lese,
wie es wohl Herr Wittig empfunden haben mag, wenn er
von der Seance mit Stade das viel grössere Wunder „den
Zweifel" vor Augen kriegte!*) — „Macht das neue Wissen
Sie glücklicher?" werde ich oft gefragt, und wenn ich, was
man unter Glücklichsein versteht, als „behagliche Bäuch-
lichkeit" auffasse (des leiblichen Daseins süsse Gewohnheit),
so würde ich antworten: „Nein!" — Wer dem neuen Zuge
folgt, ohne behutsam zurückzublicken, wird sich bald einer
Art Doppelexistenz bewusst werden, die, wenn keine materielle
Unabhängigkeit zur Seite steht, fast zur Verzweiflung führen
kann. Frühere Freunde fallen ab, eine Entfremdung von
gewohnten Beziehungen tritt ein, die um so peinlicher wird,
da eine Rückkehr unmöglich scheint, ohne Selbstverrath zu
übei. Diess erklärt wohl die tausendfachen Opfer früherer
Zeit. Wenn jetzo auch nicht mehr der Scheiterhaufen
droht, so sind doch solche Martern durch sociale Oonflicte
bereit, dass zuweilen die frühere raschere Erlösung davon
in milderm Lichte erscheint. Mit Umsicht aber kann Jeder,
nach weiser Benutzung des Beispiels zu kühner Vorkämpfer,
dem neuen Lichte sich nähern, ohne sich die Finger zu
verbrennen, namentlich wenn er behutsam in der Wahl
Derjenigen ist, die ein in Fleisch und Blut übergegangenes
Vorurtheil auszuscheiden haben und sich dann ihm freundlich
zugesellen, anstatt (wie leider so oft!) eine verderbliche
Zwietracht daraus zu entwickeln. In solcher ruhigen Weise,
den lebhaften, stets flugfertigen Enthusiasmus sanft zurück-
*) Meine Gedanken und Vorschläge waren einstweilen nur auf
eine möglichst absolute Beseitigung der Zweifel Anderer gerichtet,
die ich nach Maassgabe der gegebenen Verhältnisse ganz unwillkürlich
und naturgem'äss sich erheben sah. Was ich speeiell von der
Sache denke, ist weit'davon entfernt, ein bloss unverstandenes Zweifelswund
er zu sein; was es aber sonst ist, behalte ich für eine gelegenere
Zeit und einen für mich zugänglicheren Ort noch als mein Privat-
Geheimniss, bis meine Bahn völlig frei sein wird. — Gr, C. Wittig.
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