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284 Psychische Studien. V. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1878.)
f) Von den „B c \ t r ä g e n zur A n t Ii r o p o 1 o g i e
und Psychologie, mit Anwendung auf das
Leben der Gesellschaft. Von Eduard Reich, derzeitigem
Präsidenten der Kaiser!. Leop,-Carolinisclien Akademie
der Naturforscher und Aerzte (Braunschweig, Vieweg
fr Sohn, 1877) gr. 8°, G M. lesen wir in einer kurzen
kritischen Besprechung der ..Blätter für liter. Unterhaltung"
Nr. 14 vom l. April 1878, dass der Verfasser in der
theoretischen Psychologie eine starke Neigung zum Mysticis-
mus, um nicht zu sagen Spiritismus, verrathe, jedenfalls
eme Empfehlung seines Buches für unsere Leser und ein
Zeichen, dass T)i\ Reich in den Fuszstapfen seines grossen
Vorgängers Kees von Esenbeck wandelt
g) Sigmund Hahn berichtet in seinem Artikel: „ Victor
Emanuel, König von Italien" in „Unsere Zeit-', 8. Heft v*
15. April 1878 folgende angeblich märcheuhafte Episode
aus seiner Jugendzeit, welche die italienischen Blätter neulich
wieder brachten und die wir nicht so sehr bezweifeln, als
er diess zu thun vorgiebt, nur um sich vor dem Vorwurf
des leichtgläubigsten Aberglaubens zu ^alviren: — „Es
war im Jahre 1830, als der damals zehnjährige Victor Emanuel
mit seinem Bruder, dem achtjährigen Herzog von Genua,
in der Nähe des Schlosse«* von Valentina spazieren ging.
Sie stiessen auf ein Zigeunerlager, das dort seit einigen
Tagen aufgeschlagen war, und es reizte die jungen Prinzen,
sich von einer alten Zigeunermutter wahrsagen zu lassen.
Der Herzog von Genua, kühner als sein Bruder, reichte
zuerst 'der Zigeunerin die Hand, die, nachdem sie die
Linien derselben betrachtet, dem Prinzen sagte: „Du wirst
ein tapferer Soldat werden und jung sterben." — „Auf dem
Schlachtfelde?" fragte der junge Prinz Ferdinand. „Nein,
in deinem Bette." Jetzt trat auch Victor Emanuel heran
und reichte seine Hand hin. Zuerst schien die Alte zu
zögen«, die Linien der Hand mit ganz besonderer Aufmerksamkeit
zu betrachten und selbst in eine gewisse Verlegenheit
zu gerathen. „Nun," raeinte Victor Emanuel, „lässt
deine Kunst dich im Stich?" — „Nein", erwiderte die
Wahrsagerin, „meine Wissenschaft ist unfehlbar, aber ich
lese in deiner Hand ein so grossartiges, so glänzendes
Schicksal, dass ich kaum meinen eigeucn Augen traue."
Der Prinz, sich zu dem Ohre seines Bruders neigend, flüsterte
lächelnd: „Du sollst sehen, sie wird mir sagen, dass ich
einst König sein werde. Sie hat uns irgendwo schon gesehen
. " Die Zigeunerin wandte sich bei diesen Worten um
und liess die Hand Victor EmanueVs fallen. „Ja" sagte sie,
„du wirst König von ganz Italien sein." Der junge Prinz
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