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Hoffmann: Johann Gottlieb Fichte's Unsterblichkeitslehre. 313
folgenden "Welten haben den Eintritt nur solche Individuen,
die in der ersten von der unsittlichen (nichtsittlichen? R.)
Natur sich losreissen und einen heiligen "Willen in sich erzeugt
haben. Was bei seinem hiesigen Leben blosse Erscheinung
der Natur bleibt, vergeht mit derselben. Statt
derer, die ihre Bestimmung nicht erfüllen, werden andere
Individuen mit derselben individuellen xlufgabe erschaffen.
Für die in die zweite Welt eingetretenen Individuen, weil
ihr Wille zu einem festen und unwandelbaren Sein geworden
ist, ist kein Untergang weiter möglich, obwohl die AVelten
selbst ohne Ausnahme nach dem Ablaufe einer bestimmten
Dauer vergehen und aus sich neue gebären. In den künftigen
Welten sind darum immerfort, ebenso wie hier, Aufgaben
und Arbeiten; abc» es ist in ihnen durchaus kein sinnlicher,
sondern guter und heiliger Wille. Die Sphäre für das sich
sittlich Machen des Lebens ist die gegenwärtige Welt: sie
ist für alle künftigen Welten die Bildungsstätte des Willens.
Darum ist diese unsere gegenwärtige Welt die durchaus
erste in der Reihe und der Anfang derselben, und die in
ihr erscheinenden Seelen sind durchaus nur alte, in der
gegenwärtigen Welt schon dagewesene und in ihr zum sittlichen
Willen gewordene Individuen. In ihnen werden darum
keine neue Individuen mehr hervorgebracht. Diejenige Welt,
die schlechthin sein soll, würde die letzte sein. Eine solche
aber giebt es nicht, denn die Reihe ist unendlich. Denn
der absolute Endzweck wird nie sichtbar, sondern ewig fort
werden nur Bedingungen desselben, weil Gott immer nur
ist, sein Bild (das Leben als unendliches Streben) immer
nur wird.*) /. G. Fichte s Philosophie ist eine Fort- und
Umbildung der Kantischen Philosophie unter Einfluss
Spinozas, desselben Philosophen, dessen Nothwendigkeits-
system F. sein „Freiheitssystem" entgegensetzen will.**) Die
Gestaltung dieses Einflusses ist um so auffälliger, je entschiedener
der grosse Lehrmeister Uchtes, Kant?'**) jede Form
*) Fichte?s Werke II, 666 ff. Vergl. Ho/fmarnfs Phil. Schriften,
I, 566-569. Dann Fichte's nachgelassene Werke, I, 502—503, 526,
5-%, 558, 560.
**) Die umfassendste und geistvoll tief in ihr Verständniss einführendste
Darstellung der tichte'schen Philosophie findet sich in Kuno
Fischefs Geschichte der neuern Philosophie (V. Band). Für die Kritik
hat IL Fischer gleichfalls sehr Beichtenswerthes geleistet. Umfassender
aber dürfte sich die Kritik Heinrich Rilier's herausstellen im 2. Bande
seines Werkes: Die christliche Philosophie nach ihrem Begriff, ihren
äussern Verhältnissen und >hrer Geschichte bis auf die neusten Zeiten.
+**) Kritik der praktischen Vernunft: Kants S. Werke von Hartenstein
V, 131.
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