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320 Psychische Studien. V. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1878.)
Es erscheint deshalb eine Reform der herrschenden Ansichten
, zunächst für das am gründlichsten durchforschte Gebiet
der Chemie, für die Kohlenstoffverbindungen wünsehens-
werth." . . . (S. 2.)
„In dem Falle, wo die vier Affinitäten eines Kohlenstoff-
atomes durch vier von einander verschiedene Gruppen gesättigt
sind, führt unsere Betrachtungsweise zur Construction
von zwei, und nur von zwei verschiedenen Tetraedern,
welche nicht zur Deckung gebracht werden können, von
denen das eine das Spiegelbild des andern ist und füglich
mit dem von Naumann gewählten Namen als enantiomorphe
Gestalten bezeichnet werden können."
Die obigen Worte beweisen wiederum die Wahrheit
des Riemann1 sehen Ausspruches, dass Widersprüche
des Denkens mit Thatsachen der Beobachtung diejenigen
Bedingungen sind, unter denen allein unsere Er-
kenntniss von der Welt fortschreitet.*) Je stärker und
mächtiger in einer Zeit die Widersprüche des Daseins in
das menschliche Bewusstsein treten, desto grösser ist das
Bedürfniss und der Antrieb zur Erweiterung der Erkennt-
niss. Bleibt dieses Bedürfniss wegen unzureichender
Kraft des Verstandes unbefriedigt, so erzeugt sich hieraus
die pessimistische Weltanschauung, welche stillschweigend
die Grenzen unserer jedesmaligen Anschauungsfornien
für definitive hält. Eine grössere Kraft des Verstandes
dagegen löst jene Widersprüche in einer höheren Anschauung
von der Welt harmonisch auf und befreit hierdurch
den Geist von jener bedrückenden Unruhe, welche
jederzeit das Bewusstsein unserer Ohnmacht gegenüber einer
nicht zu bewältigenden Aufgabe begleitet.
_ (Fortsetzung folgt.)
*) Riemann sagt: „Die Gründe, welehe zu neuen Erklärungsweisen
trieben, lassen sich stets auf Widersprüche oder UnWahrscheinlichkeiten
, die sich in den älteren Erklärungsweisen herausstellten, zurückführen
. Die Bildung neuer Begriffe, so weit sie der Beobachtung zugänglich
ist, geschieht also durch jenen Process." (Vgl. S. 241.)
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