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328 Psychische Studien. V. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1878.)
sei, für welche jedoch 'die Erfahrung' fehle. Diess Letztere
nun leugne ich entschieden, sofern man nur es richtig verstehen
will. Zunächst wäre es fürwahr ein dürftiger Noth-
behelf des iVienscliengeistes, in der allerentscheidendsten
Frage über sein Wesen und seine ganze Lebensstellung
zu blossen Postulaten und unbestimmten Phantasiehoffnungen
herabgedrückt zu sein. Schon an sich bleibt diess
höchst unwahrscheinlich, so gewiss im Ganzen des Menschendaseins
unverkennbar und ausnahmslos ein tiefzweckmässiges
Entsprechen zwischen seinem Wesensbedürfiiiss und der von
Aussen kommenden Gewährung besteht, önd gerade in
diesem wichtigsten Punkte sollte eine Ausnahme stattfinden?
Da ist nun an die unbestrittene Thatsache von der All Verbreitung
des Glaubens an Portdauer und a;i eine Geisterwelt
zu erinnern, ganz unabhängig von dem verschiedenen
Culturgrade der Völker und dei Zeiten. Es kommt darauf
an, wie diese Thatsache zu erklären sei. Dafür hat nun
der Verfasser selbst uns die zutreffendste Analogie dargeboten
, Er folgert mit Vlrici u. A. (zu denen auch ich gehöre,*)
aus der Universalität des Religionsgefühls, der Gottesidee,
im Menschengeschlecht auf eine objective, transcendentale
Ursache derselben; und er wird daxin wohl Recht behalten.
Ganz dieselbe Folgerung möclite in jenem analogen Falle
wohl auch als die einzig haltbare sich bewähren. Doch
wird darüber an einem andern Orte ausführlicher zu reden
sein.**) — Ungleich wichtiger bleibt mir und ist der eigentliche
Zweck gegenwärtiger Besprechung, auf die Bedeutung
des Werkes dem wissenschaftlichen Bedürfntss der Zeit
gegenüber nachdrücklich hinzuweisen. Diese steht bekanntlich
unter dem Einfluss und der Autorität der 'exacten
Wissenschaften1 mit ihren grossen naturwissenschaftlichen
Entdeckungen. Solches ist wohlgethan und eigentlich selbstverständlich
; wenn nur jene Ergebnisse rein als solche festgehalten
und nicht von Unberufenen in fremde Wissengebiete
voreilig hinübergezogen würden. Diess ist geschehen;
man hat sich daraus einen oberflächlichen Materialismus
und Nihilismus zusammengebaut, dessen Wirkungen auf die
•) Siehe 1. H. Fichte9s „Anthropologie", 3. Aufl. (Leipzig Brockhaus
, 1876), sowie Fichteys „Fragen und Bedenken" (1876). —
Die Kedaction.
**) Wie wir vernehmen, wird nächstens bei Brockhaus die Schritt:
„Der heutige Spiritualismus, sein Werth und seine Täuschungen.
Eine anthropologische Studie von L H. von lichte" erseheinen, der
wir mit Spannung entgegensehen, — da in derselben auch eine Verteidigung
Zöllners gegen die Angriffe seiner bisherigen Gegner enthalten
sein wird. — Die Kedaction,
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