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Ein prophetischer Traum.
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die Kaiserin einen berühmten Augenarzt; allein die alte
Dame lehnte seine Dienste ab. 'Drücken Sie Ihrer Majestät
meinen tiefen Dank aus', meinte sie, 'aber ich beklage den
Verlust meines Augenlichtes nicht. Ich habe auf dieser
Welt Keinen, den ich zu sehen noch Verlangen trüge',
wiederholte sie.
„Wenige Tage nach dem Empfang der Schmerzens-
kunde reiste Alexander Tutschkonh Wittwe nach dem
Schlachtfelde ab, das noch von fast allen seinen Todten
bedeckt war. Ungefähr wusste man die Stelle, wo der
General gefallen war; ein Soldat des Regiments Rewel
hatte ausgesagt, eine Kanonenkugel habe Tutschkow beide
Arme hinweggerissen und, während man ihn aus der
Batterie herausschaffte, eine andere Kugel ihm Beine und
Brust zerschmettert; darauf sei der Leichnam liegen geblieben
, wo er gefallen. Genau Hess sich indess der Ort
nicht mehr bezeichnen, wo diess geschehen war.
„Die Nacht brach herein, als Margaretha Michailowna
auf der unabsehbaren Ebene anlangte, die dreissig- bis
vierzigtausend verwesende Leichen verpesteten und deren
Schrecken selbst den gefühllosen Napoleon schaudern gemacht
hatte. Ringsum lohten die Scheiterhaufen, auf
denen die Todten verbrannt werden sollten, weil man sie
nicht beerdigen konnte, und ein schwerer übelriechender
Qualm lagerte athemraubend über der schauerlichen Fläche.
Nur ein Mönch aus einem benachbarten Kloster begleitete
die Trauernde auf ihrem fürchterlichen Gange, gekommen,
um den Segen über alle Gefallene zu sprechen; mit der
einen Hand träufelte er das Weihwasser auf die Todten,
mit der anderen beleuchtete er ihre zerstörten Gesichter
mit seiner Laterne. Auch Margaretha neigte sich über
die stillen Schläfer und wandte sie um und um, in der
schmerzlichen Hoffnung, unter ihnen den Leichnam des
geliebten Mannes zu finden. Ihre Energie hielt sie aufrecht
bei dieser fruchtlosen Anstrengung; — kaum hatte
sie jedoch die Schwelle der elenden Bauernhütte überschritten
, wo sie von der Frau Bonvier erwartet wurde, so
brach sie ohnmächtig zusammen."---Wir übergehen
mit Absicht alles Weitere, dessen Leetüre dem Leser in
den angegebenen Quellen ohne alle Empfehlung selbst
überlassend, und theilen nur noch mit, dass unweit von
jener Redoute, wo ihr Gatte fiel, seine Wittwe eine
herrliche Grabkapelle errichtete, nicht lange darauf auch
noch ihren Sohn verlor und sich in ein klösterliches Leben
bei der von ihr gestifteten Grabkirche zurückzog, in der
ihr Gatte und Sohn ruhten. Sie empfing schliesslich erst
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