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Immanuel Hermann v. Fichte über den neueren Spiritualismus. 387
weit sinnliche Veränderungen hervorzubringen. Es ist eine
ganz analoge „Materialisirung" (Verleiblichung) des "Willens,
wie wir sie bei Leibesleben im Stoffleibe hervorzubringen
gewohnt sind; dort nur unter neuen, noch nicht erforschten
Bedingungen.
Dass nun die Ermittelung solcher charakteristischer
Thatsachen, wenn sie auf dem Wege erweiterter Erfahrung
sich bestätigen, wenn sie ferner durch genauere Feststellung
ihrer Natur und ihrer äussern Bedingungen sich erwahren,
dann eine der wichtigsten und vielseitig folgenreichsten
Entdeckungen enthalten würde, welche die (legenwart gewonnen
, diess wird in keiner Weise geleugnet werden können*
Darum bestreite ich den selbständigen Werth jener mediu-
mistischen Forschungen um so weniger, als in dem fast
unübersehbaren Thatsachengebiete, welches der Spiritualismus
umfasst, eine „T heilung der Arbeit" ohnehin sich
empfiehlt, welche einestheils das grosse historische und
ethnographische Material zu sichten hat, andererseits die
neuen psychischen wie physischen Thatsachen gleich-
mässig durch kritische Prüfung feststellen muss.
Aber die durch letzteres geforderte neue Wissenschaft
einer „transscendentalen Physik" (wie ich sie einmal nennen
will) ist noch m ihren ersten unsichern Anfängen begriffen,
ist selbst noch so sehr mit unfertigen, höchst problematischen
Hypothesen behaftet, dass auf ihre bisherigen Ergebnisse
allein oder auch nur vorzugsweise die Entscheidung über
den Werth oder die Wahrheit dcb Spiritualismus überhaupt
zu gründen mir ein gewagter Versuch scheint. Hier gilt
es, Dasjenige zu vermeiden, was ich einen Umweg nannte,
und zu sichern, was in der Hauptsache schon feststeht. Es
sind die rein psychischen Thatsachen und ihr übereinstimmendes
Ergebnisse Es ist die Bestätigung des Glaubens
an persönliche Fortdauer durch das Zeugniss psy-
chischerErfahrung. Und die gegenwärtige Abhandlung
setzt sich kein anderes Ziel, als die Gründe dafür, zugleich
die kritischen Grundsätze ihrer Beurtheilung von neuem in's
Licht zu stellen.
Die Fragen aber, welche der heutige Spiritualismus dadurch
anregt, sind entscheidender Art, nicht bloss für die
Wissenschaft, sondern für den Werth oder den Unwerth
unsers ganzen gegenwärtigen Daseins. Denn welche Ueber-
zeugung man fasse in jener grossen Grundfrage, daran entscheidet
sich zugleich, mit welchem Charakter, mit welcher
Energie des Willens man den sittlichen Aufgaben des Lebens
entgegenzutreten vermag; — ganz unabhängig von Rücksichten
auf „künftigen Lohn oder Strafe". Denn nun kennt
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