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412 Psychische Studien. V. Jahrg. 9. Heft. (September 1878.)
aber zugleich, dass wir Nichts darüber erfahren können und
sollen. Aber Andere treiben ihre zerstörende Logik so
weit, auch das Dasein des Geistes gänzlich abzuleugnen,
und wenn wir nicht diese Ansicht theilen wollen, müssen
wir zugeben, dass es eine geistige Substanz giebt und dass
dieselbe eine Form und Gestalt hat; es ist kein anderer
Schluss denkbar. Um aber den Beweis klar zu machen,
so nehmen wir an, es gäbe eine Geistcrwelt und Geister,
aber keine geistigen Substanzen, und sehen vor, zu welchen
Widersprüchen uns das führen würde. Was ist eine Welt?
Was bedeutet das Wort Welt? Hat die Welt nicht eine
Form, besteht sie nicht aus unzähligen Gegenständen, die
alle aus materiellen Substanzen zusammengesetzt sind?
Wenn wir nun dieser Welt alle ihre Formen und Bestandteile
nehmen wollten, würde da die Welt noch Welt
bleiben? Und ist es nicht eben ein solcher Widerspruch, zu
behaupten, dass es eine Geisterwelt giebt, während man ihr
jede Form und Substanz abspricht ? Man würde doch Denjenigen
unbedingt für wahnsinnig« erklären, der die Existenz
des Holzes ableugnete und dabei einen Baum beschriebe,
oder die Möglichkeit, dass es Wasser gäbe, lächerlich machte
und dann über die Schönheit eines Flusses spräche; aber
machen sich nicht Alle eines solchen Widerspruchs schuldig,
welche von dem Himmel als von einem wirklichen Aufenthaltsort
reden und sich den Herrn auf einem Thron sitzend
denken, umgeben von weissgekleideten Engeln mit goldenen
Kronen, welche auf goldenen Harfen spielen und des Himmels
weite Bogen weder hallen machen von ihren Lobgesängen,
oder von Denen sprechen, welche sich in den Qualen der
Hölle winden und den schrecklichen Aufenthalt der Unseligen
mit ihren Klagen erfüllen ? Christen singen so gern
von den lieblichen, in glänzendes Grün gekleideten Gefilden
des Jenseits, und doch hätten sie nach ihrer Theorie weder
Substanz noch Form; was für ein Feld sollte das nun aber
sein ohne Gestalt, ohne Substanz? Wie kann es in
glänzendes Grün gekleidet sein? Christen hoffen auf das
Wiedersehen mit ihren vorangegangenen Lieben; allein wie
können zwei Wesen ohne Gestalt, ohne Substanz sich wiederfinden
und wieder erkennen? Christen stellen sich Gott
vor als auf einem Throne sitzend, den Erlöser zu seiner
Kechten, und halten es dabei doch für eine Entheiligung,
Ihn sich unter einer Gestalt zu denken» Zu solchen Widersprüchen
führt die Behauptung, dass der Geist keine Form,
noch Substanz habe. Der Geist, wenn er besteht, muss
Gestalt und Substanz haben.
Der menschliche Geist hat die Fähigkeit, sich Eigen-
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