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458 Psychische Studien. V. Jahrg. 10. Heft. (October 1878.)
in Staat und Kirche die Einheit wiederzufinden, wendet
sich Schelling der Beobachtung des menschlichen Geistes
nach den in seinem inneren Wesen und nach den im Einzelnen
liegenden Kräften und Potenzen zu. Er unterscheidet
im menschlichen Geiste drei Potenzen oder Seiten:
Gemüth, Geist und Seele. Das Gemüth ist eigentlich das
Reale im Menschen, mit und in dem er Alles auswirken
soll. Der Geist im engern Sinne ist das eigentlich Persönliche
im Menschen, die eigentliche Potenz der Bewusstheit.
Das Höchste, die dritte Potenz, ist die Seele, das eigentlich
Göttliche im Menschen, das Unpersönliche, dem das
Persönliche unterworfen sein soll. Vom Gemüth, und zwar
von seiner tiefsten Sehnsucht an, geht eine stetige Folge
bis zur Seele. Die Gesundheit des Gemüths und des
Geistes (die Seele erkrankt nicht) beruht darauf, dass jene
Folge ununterbrochen sei, dass gleichsam eine stetige Leitung
von der Seele aus bis in's Tiefste des Gemüthes stattfinde.
Denn die Seele ist das, wodurch der Mensch in Rapport
mit Gott ist, ohne welchen der Mensch keinen Augenblick
existiren kann. Die Seele als die absolut göttliche hat
eigentlich keine Stufen mehr in sich, ist der innere Himmel
im Menschen. Aber sie ist verschiedener Beziehungen mit
dem Untergeordneten und dadurch verschiedenartiger Aeusse-
rangen fähig. Sie kann sich beziehen 1. auf das Reale in
den untergeordneten Potenzen, also auf Sehnsucht und
Selbstkraft oder Eigenwille, was der Fall ist in Kunst und
Poesie; 2. auf Gefühl und Verstand, wodurch die Wissenschaft
im höchsten Sinn, die Philosophie, entsteht (unmittelbar
von der Seele eingegeben); 3* auf Willen und
Begierde, wo dann, wenn diese ganz der Seele untergeordnet
sind, die moralische Verfassung der Seele, die Tugend im
höchsten Sinne, wird, als Reinheit, Trefflichkeit und Stärke
des Willens. Lasse die Seele in dir handeln, ist das höchste
Princip, worin das Wahre der verschiedenen Moralsysteme
zusammenkommt. Wo die Seele handelt, ungestört durch
die Einflüsse der Persönlichkeit, da ist alles Zeithehe und
Subjektive abgestreift, und es entstehen göttüche Werke.
Göttliches wird nur durch Göttliches geschaffen, erkannt,
gewirkt. Das unbedingte Walten der Seele ist Religion,
nicht als Wibsenschaft, sondern als innere und höchste
Seligkeit des Gemüths und Geistes. Tugend, Wissenschaft
und Kunst sind nicht Eines, aber verwandt mit der Religion,
und haben nur Eine Wurzel. Wie das Innerste der Natur
das Band der Schöpfung, das Einigende des Endlichen und
Unendlichen ist, so ist auch das Wesen der Seele Liebe,
und Liebe auch das Princip alles dessen, was aus der Seele
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