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512 Psychische Studien. V. Jahrg. 11. Heft. (November 1878.)
wiederholt in dieser Vorlesung Schelling das schon in den
Stuttgarter Privatvorlesungen Gesagte, dass es schon dem
natürlichen Gefühl zuwider sei, sich zu denken, dass der
Mensch nur einem Theile nach, und dass nicht der ganze
Mensch, nicht der Mensch seinem ganzen Esse nach,
fortdauere. Die "Wirkung des Todes sei etwa dem Process
zu vergleichen, in welchem der Geist oder die Essenz einer
Pflanze ausgezogen werde. Der Tod des Menschen möchte
also nicht sowohl eine Scheidung, als eine Essentification
sein, worin nur Zufälliges untergeht, aber das Wesen bewahrt
wird. Nachdem der Mensch das Leben in sich von
dem Leben in Gott getrennt hat, kann er nur durch drei
Stufen zu der ihm bestimmten Einheit wieder gelangen.
Die erste ist das gegenwärtige Leben, welches sein Leben
in sich, und eben darum das Leben der freiesten Bewegung
ist. Die andere ist das nachstkünftige Leben, das ein
Leben der Unbeweglichkeit, des an sich Gebundensems —
des Seinmüssens — ist, wo auf das Können das blosse
Sein folgt, das Können erloschen, unwirksam geworden,
und die Nacht eintritt, wo Niemand wirken kann. Hier
wird es darauf ankommen, welchen Schatz der Mensch mit
sich bringt; was er gesäet, wild er ernten. Aber es kommt
eine dritte Zeit oder Periode, wo das geistige Sein wieder
zur freiesten Beweglichkeit entbunden, das Moment des
Kön lens, der freien Bewegung. welches das des gegenwärtigen
Lebens ist, wieder aufgenommen wird. Dieser
dritte Moment ist, was eben darum als künftige allgemeine
Auferstehung von den Todten und zwar als Auferstehung
des Fleisches gelehrt wird. Dem natürlichen Leben folgt
das geistige und diesem dasjenige, in welchem natürliches
und geistiges Leben in uns gebracht sein wird.
Wir folgen Schelling nicht in die geistreichen Erläuterungen
seiner Annahme dreier Lcbensstuien, den Leser
ermunternd, davon aus den Quellen Kenntuiss nehmen zu
wollen, und ziehen nur noch das Hochwichtige und Bedeutsame
heran, welches (1. c. 221) in den Worten niedergelegt
ist: „Darin unterscheidet sich die christliche Ansicht von
allen bloss rationell-philosophischen, kahlen Unsterblichkeitslehren
, dass diese, wenn sie auch eine Portdauer und ein
künftiges Das sin des Menschen zugeben oder behaupten,
dass sie gleichwohl diesem Dasein kein wahres Ziel, kein
eigentlich beruhigendes Ende wissen, besonders wenn sie
dieses Dasein völlig von der Natur losgerissen denken,
während es doch schlechterdings notbwendig ist, dass, nachdem
die Natur sich für den Menschen getrübt hat und ihm
undurchsichtig geworden, auch sie in einem künftigen Zu-
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