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532 Psychische Studien. V. Jahrg. 12. Heft. (December 1878.)
Satzungen freigemacht, und ist durcli mediumistisclie Erfahrung
an sich selbst, zeitig mit dem Spiritualismus vertraut
, dessen eifrige Bekennerin geworden. Sie ist eine
Sensitive von äusserst feiner Empfänglichkeit für die Eindrücke
der magnetischen Ausströmungen nicht nur lebender,
sondern, vTie wir annehmen müssen, auch der Körperwelt
entrückter Persönlichkeiten, und unter günstigen Bedingungen
dem Uebergehen in den Zustand unterworfen, den die
Spiritualisten als „Trance" bezeichnen. Ich betone das
Wort „unterworfen,** weil sie sich, infolge neuer starker
Willenskraft und einer eigenthümlichen Scheu vor dem
Aufgeben ihres Selbstbewusstseins, nur ausnahmsweise und
mit Widerstreben den sie überwältigenden Einflüssen aus
bekannter oder unbekannter Quelle überlässt und diesen
nur selten über den Grad einer gewissen Exstase oder Inspiration
hinaus, bei welchem sie bewusst bleibt, nachgiebt.
In demselben Zustande wahrscheinlich empfängt sie auch
ihre psychometrischen Eindrücke, denen wir, aus der
ungesehenen Handschrift einer unbekannten
Person fliessend, den Namen von „Orakeln" oder „Offenbarungen
" beilegen möchten, wie nach einer Betrachtung
des dabei beobachteten höchst einfachen Verfahrens nicht
unberechtigt erscheinen wird.
Dieses Verfahren besteht m nichts, als dass der Psycho-
metrin die (wohlverschlossene) Handschrift einer Person
überreicht wird und sie diese einige Zeit in der linken
B~and, gewöhnlich nur leicht zwischen den Fingern, hält.
S-'e schliesst dabei gewöhnlich die Augen, aber nur zu dem
Zwecke der Ausschliessung äusserer störender Eindrücke»
Sie weiss nicht, ob das Blatt in ihrer Hand die Schriftzüge
eines Greises oder Kindes, eines Mannes oder einer Frau,
eines noch Lebenden oder Todten enthält, auch kommt
dabei auf die Länge oder Kürze des Geschriebenen, auf
die Sprache und ob mit Tinte oder Bleistift, ob kürzlich
oder vor langen Jahren geschrieben, sowie auf den Inhalt,
nicht das Mindeste an. Die einzige Bedingung, um die
psychometrische Gabe anzuregen, scheint zu sein, dass auf
dem Papiere irgend einmal die Hand und der Gedanke
eines menschlichen Individuums geruht und domit die un-
vertilgbaren Spuren einer geistigen Gesainmt-
heit zurückgelassen haben. Diess genügt, um so zu sagen
das ganze spirituelle Abbild der betreffenden Persönlichkeit
vor dem inneren Gesichte der Psychometrin wieder auferstehen
zu lassen, Nachdem sie das Papier in der besagten
Weise einige Minuten gehalten, empfängt sie in der
Regel zunächst allgemeinere Eindrücke von dem Magnetis-
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