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I. EL v. Fichte: Spiritualistische Memorabilien.
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dass er Tag und Stunde seines Todes genau voraussagte,
welches Wissen er ganz in der Ordnung fand, indem er
behauptete, diese Kunde seiner Gemeinschaft mit einer höhern
Geistesordnung zu verdanken. —
Blosse Ahnungen von mehr oder weniger unbestimmtem
Inhalt können ihrer Natur nach nur selten bis zur Stärke
eigentlicher „Vision" sich verdichten. Doch giebt es Beispiele
. Ich führe zwei mir bekannt gewordene an, das eine
nach einer Familienmittheilung, das andere aus unmittelbarer
Quelle,
Die Gattin eines hochgestellten Medicinalbeamten und
geschätzten Arztes, durch bedenkliche Lähmung ihrer untern
Extremitäten an den Lehnstuhl gefesselt, sass eines Sommerabends
in noch hellem Dämmerlicht allein auf ihrem Zimmer
mit interessanter Leetüre beschäftigt. Plötzlich erblickt sie
zu ihrer Linken in einiger Entfernung die Gestalt ihrer
vor zwei Jahren verstorbenen geliebten Schwester mit freundlichem
Ernste zu ihr herüberschauen. Sie selbst deutet
diess als Vorahnung, und unheimlich dadurch berührt, wendet
sie den Blick, um mit Aufmerksamkeit fortzulesen, kann
jedoch nicht umhin, auf die Seite zu schielen, wo ihr immer
noch das Bild der Gestalt begegnet. Endlich schellt sie
heftig, und die Gestalt verschwindet; nach der allgemeinen,
gesetzlich begründeten Erfahrung: — dass das visionäre (dem
Traume verwandte) Schauen sogleich unterbrochen, aufgehoben
werde durch die stärkere Wirkung einer plötzlich
eintretenden Sinnenempfindung. Indess bestätigte sich jene
Vorahnung; die Kranke starb nach einigen Tagen.
Man wird sagen, dass hier lediglich eine „Halluci-
nation" vorliege, wie tausend andere bei Nervenkranken
oder Irrsinnigen vorkommen. "Wir stimmen ausdrücklich
bei, behalten uns aber vor, im Folgenden nachzuweisen
: wie dieser Begriff bisher viel zu eng gefasst werde,
wenn man darin bloss subjectivistische Einbildungen
finden will. —
Das zweite Beispiel! August Ferdinand Berrihardi, geboren
zu Berlin am 24. Juni 1769, starb daselbst am
1. Juni 1820 als Consistorial - und Schulrath und als
Director des Friedrich-Wilhelms-Gymnasium. Er war ein
scharfsinniger Denker, ein durchaus philosophisch gebildeter
Geist: und obwohl durch seine Verschwägerung mit L. Tieck
der romantischen Schule angehörig, war er doch, wenn Einer,
der romantischen Richtung derselben abgeneigt^ Er reprä-
sentirte in ihr auf glänzendste Weise das witzig ironische,
kritische Element. Ihm habe ich, als dem vertrauten Freunde
meines Vaters, in dessen Biographie („/. <?, Fichte's Leben
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