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128 Psychische Studien. VI. Jahrg. 3. Heft. (März 1879.)
der Körper, das Feinere hingegen die Seele des
Mensehen.
Die Seelenlehre zeigt uns, dass wir das. Geistige
oder die Seele des Menschen eher denken müssen, als
das Körperliche, welches später entstand als ein hlosser
Zuwachs, den das Geistige bei dem physischen Fortschreiten
erhielt und mit ihm verhältnissmässig zunahm. Daher kann
das immer vollkommner werdende Gr eis tige auch in seiner
Thätigkeit und Wirksamkeit zu einer solchen Vollkommenheit
gelangen, in welcher es das Körperliche nicht mehr
nöthig hat. Denn der Körper ist bloss die Hülle, in
welcher sich die Seele immer weiter entwickeln soll und
gewöhnlich entwickelt.
So lange sich nun die Seele bei aller ihrer erlangten
Vollkommenheit im Wirken auf der Erde befindet, muss
sie auch ihre irdene, grobe Körperhülle behalten.
Hört hingegen dieser Zustand auf, so bedarf sie dieser
groben Hülle zwar nicht mehr; sie muss aber doch in
den Stoffen und in der Constitution, welche sie zu einem
künftigen Zustande mitnimmt, schon in sich selbst eine
Verwandtschaft mit dem künftigen Zustande haben,
in welchem sie fortdauern soll. Daher muss die Seele in
sich schon jetzt die Anlage und Entwicklung zu ihrem
künftigen Zustande tragen, folglich für denselben schon
ein Ganzes sein, welches mit dem menschlichen Körper
durch ein Band zusammenhängt, welches die Seele an sich
hält, aber doch dieselbe nicht verhindern kann, auch für
sich allein zu wirken und thätig zu sein.
Die körperliche Einrichtung der menschlichen Natur
gestattet also dieses schon, und die Vernunft muss durch
ihre Thätigkeit die Herrschaft über den Körper oder über
die Sinnlichkeit auch unter allen Umständen behaupten
können, so lange keine wesentliche Trennung zwischen Leib
und Seele völlig geschehen ist. Beide sind demnach nur
so mit einander verbunden, dass zwar der Körper nicht
ohne die Seele, diese aber ohne jenen fortexistiren und
bloss mit einer feinern Hülle für sich allein selbst in
solchen Fällen schon jetzt wirksam sein kann, wo der
Körper ziemlich allein leidet, wie wir diess auch wirklich in
manchen Krankheiten des Körpers finden, wo die Seele oft
sehr thätig ist.
Hieran kann das Band zwischen Leib und Seele die
letztere nicht hindern, sondern es dient nur dazu, dem
Körper Leben und Wirksamkeit zu geben. Ueberdies zieht
ja auch die Seele das, was sie in ihrem nähern Wirkungskreise
braucht, nicht etwa aus den gröberen, sondern
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