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154 Psychische Studien* VI. Jahrg. 4. Heft. (April 1879.)
greifens solcher Geister, um jenen transseendenten
Willen auszuf iiliren. Erinnern wiran die oben (IT. S. 63 ff.)
angeführten Beispiele. Ein Geistlicher ist gedrungen, ohne
deutlich empfundene Absicht einen fernen .Freund aufzusuchen
, den er dadurch vom Selbstmord zurückhält. Hier
sind es zwei völlig von einander unabhängige Individualitäten
und Willen, deren jede ohne Kunde vom Andern
ihren eigenen Weg verfolgt; und dennoch besteht zwischen
ihnen eine verborgene Wechselbeziehung. Durch diese
scheinbare Unabhängigkeit hindurch vollzieht sich ein
anderer höherer Wille, was wir nur als die Wirkung einer
auf einen bestimmten Zweck gerichteten (^individuellen")
Vorsehung zu denken vermögen. So in den höchst verschiedenen
Erlebnissen dieser Art, welche stets das Gemeinsame
an sich tragen, dass hierin nicht der diesseitige
Menschenwille, sondern durch ihn als Mittel oder Organ
ein höheres Walten zum Durchbruch kommt.
Hiermh sind wir nun vor ein jedenfalls hochbedeutsames
, in seinen weitern Conseqaenzen sogar kaum übersehbares
Problem gestellt: vor die Thatsache des Ein-
wirkens einer jenseitigen Willensmacht in das Diesseits unsers
Wollens und Wirkens mit seinem ganzen empirischen und
uns begreiflichen Causalitätsverlaufe. Das Perne, Trans-
scendente steht plötzlich mit unerwarteter und menschlich
unerreichbarer Thatsächlichkeit vor uns. Es ist, vas von
jeher „Wunder" genannt worden, und die Religion aller
Völker und Zeiten bestätigt solche Wunder durch den
Glauben an Schutz- und Mittelgeister. Aber rein theoretisch
erwogen, steht es noch immer als Problem vor uns, dem
Zweifel ausgesetzt und möglicher Ableugnung unterworfen.
Die Lösung des Problems liegt offenbar in der Entscheidung
einer allgemeinern Frage, welche gerade hier uns
beschäftigt: Haben wir überhaupt sichere, d. h. that-
sächlich erkennbare Kriterien für die Annahme
einer transscendentalen Geisterwelt und ihrer
Wirkungen in die diesseitige? Mit dieser Frage,
die nur empirisch gelöst werden kann, betreten wir zugleich
die dritte und höchste Stufe der spiritualistischen
Thatsachen.
Aber bei dieser zunächst nur ganz theoretischen Erforschung
wird sich mehr und mehr vor uns die tiefe
ethische Bedeutung des höher entwickelten Seherlebens
erschliessen und thatsächlich Zeugniss für sich geben.
Doch nicht allein für sich, sondern darin zugleich für die
tiefernsten Seelengegensätze und Lebenseonfiicte, welche
mittelbar dabei zur Erscheinung kommen und die im Dies-
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