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200 Psychische Studien. VI. Jahrg. 5. lieft. (Mai 1879.)
sowohl, als durch die Bedeutung der Persönlichkeit, welche
sie mithineinzog. Es war der Geist ihres verstorbenen
Bruders, des Prinzen von Preussen! Beides war dazu an-
gethan, den Seher zu verwirren, vielleicht auch ihn in Verlegenheit
zu setzen, zu beschämen. Sehen wir nun, wie die
einlache Ehrlichkeit des Mannes diess Alles in sein Gegea-
theil verkehrte und nach dem eignen Bekcnntniss der
Königin die Ueberraschung und Beschämung auf ihrer
Seite war.
Die hohe Dame erzählt selbst den ganzen Hergang
folgendergestalt. Sie habe eines Abends, wo Swedenborg
bei Hofe erschienen sei, ihn bei Seite genommen und gebeten
: ihren verstorbenen Bruder, den Prinzen von Preussen
zu fragen, was er im letzten Augenblicke, da sie ihn vor
ihrer Abreise nach Stockholm noch gesehen, zu ihr gesagt
habe. Sie bemerkte ihren Zuhörern: sie habe diose Frage
gewählt, weil sie gewusst, dass ihr verstorbener Bruder
ebenso wenig, wie sie selbst, diese Sache irgend Jemand
habe mittheilen können oder wollen. Swedenborg habe den
Auftrag mit dem Bemerken übernommen, er wolle versuchen,
ob es ihm gelinge, den Geist aufzufinden. Die Königin
scheint angenommen zu haben, dass keine Antwort erfolgen
werde. Denn als Swedenborg einige Zeit nachher eines
Abends bei ihr sich meldete und um eine geheime Audienz
bat, gab sie ihm die Antwort: was er ihr zu sagen habe,
könne von aller Welt vernommen werden. Erst als er ihr
erklärte, was er ihr zu sagen „beauftragt** sei, könne er
nicht vor Zeugen sagen: wurde sie durch diese Erwiederung
„sehr unruhig gemacht", wie sie selbst es gestand. Sie
erhob sich vom Spieltisch, rief den Bciehsrath von Schwerin
zu sich (der, wie Thiebault erwähnt, während der Erwählung
der Königin in Berlin gegenwärtig war), betrat mit ihm ein
einsames Zimmer, wo sie den Reichsrath an die Thüre
beschied, mit Swedenborg aber an das andere Ende des
Zimmers sich begab. Hier sprach Swedenborg Folgendes zu
ihr: „Sie haben Ihrem erlauchten Bruder das letzte Lebewohl
gesagt zu Charlottenburg, an dem und dem Tage, zu
der und der Stunde. Wie Sie nachher durch die lange
Gallerie des Schlosses gingen, begegneten Sie ihm nochmals;
er nahm Sie bei der Hand und führte Sie an eine Fensteröffnung
, wo er von Niemand gehört werden konnte, und
sagte Ihnen folgende Worte" ....
Die Königin (fährt Thiebault fort), bezeichnete uns die
Worte nicht, um die es sich handelte, versicherte aber,
dass es dieselben gewesen, die ihr verstorbener Bruder zu
ihr gesprochen und die sie gewiss nicht vergessen habe!
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