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202 Psychische Studien VI. Jahrg. 5. Heft. (Mai LS7<).)
leuchtung ihres Gehirns dort abgelesen haben, um, allerdings
in täuschender Absicht, nachher ihn der Königin als Geisteroffenbarung
erzählen zu können. Ich lasse mich durch das
Geschraubte, Fratzenhafte und höchlichst Unwahrscheinliche
dieser Deutung nicht abhalten, ihr näher zu treten.
Denn ganz ähnlichen Seltsamkeiten der Deutung begegnet
man nur zu häufig auch jetzt noch, wenn es gilt, den spiri-
tuaKstischen Thatsachen durch „natürliche" Erklärung ihre
charakteristische Bedeutung zu entziehen. Vielleicht beruft
man sich zur Stütze jener Hypothese sogar auf Dasjenige,
was Heinrich Zschokke in seiner „Selbstschau" von einer unwillkürlich
ihn ergreifenden Erleuchtung erzählt, um ins
Innere der Menschen hineinzuschauen und aus diesem Eindruck
ihren Charakter zu diviniren. Aber gerade was
jener besonnene und gewissenhafte Selbstbeobachter darüber
berichtet, zeigt die gänzliche Verschiedenheit von dem vorliegenden
Falle. Er spricht von dem unwillkürlichen Eindruck
einer Person, welche ihn angeregt, ebenso unwillkürlich
ein Bild ihres Innern zu entwerfen, dessen halb traumhaftes
Wesen die Stufe der „Ahnung" nicht überschreitet, wie
wir sie im Vorigen (II.) charakterisirt haben.
Diess merkwürdige Talent der Divination hat nun
der ehrliche und als höchst gewissenhalt geschilderte Mann
niemals sich zugeschrieben, sondern nur behauptet: seit
einem gewissen Zeitpunkt seines Lebens sei ihm die
Gnade verliehen, mit Abgeschiedenen zu verkehren. Und
bei vorliegender Thatsache handelt es sich auch gar nicht
etwa um Ahnungen, mehr oder weniger unbestimmte Eindrücke
, sondern Swedenborg hatte in ganz gewöhnlicher
Weise einen ihm mitgetheilten, genau formulirten xluftrag
einer genau bestimmten Persönlichkeit auszurichten, nur mit
dem besonderen Umstände, dass diese Persönlichkeit eine
abgeschiedene war. Unter diesen Umständen wird
wohl nichts anderes übrig bleiben, wenn es um eine wirklich
„rationelle", d. h. den Thatbestand allem vollständig
erklärende Deutung sich handelt, als
die Thatsache so, wie sie in ihrem innerlich wohlmotivirten
Zusammenhange vorliegt, als wahr anzuerkennen und alle
die Folgerungen daraus zu ziehen, welche hier mit logischer
Notwendigkeit sich darbieten.
Diess hat nun merkwürdiger Weise zuerst Wieland ge-
than, ohne Zweifel weil er, als nicht Schulphilosoph,
keiner abgeschlossenen Lehrmeinung verhaftet war, wie beispielsweise
noch Kant, der allerdings in seiner Theorie,
früher wie später, keinerlei Anknüpfungspunkte tand, um
über jene ganzo Frage nach „Vernunftgründen" sich zu
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