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484 Psychische Studien. VI. Jahrg. 11. Heft. (November 1879.)
selbst ein psychologisches Räthsel nennen, dessen Entwirrung
jedem Erforscher des Seelenlebens zu empfehlen sein dürfte.
Dieser kurze Lebensabriss kann übrigens um so mehr auf
volle Verlässlichkeit Anspruch machen, als er auf den
eigenen "Wahrnehmungen des Verfassers desselben sowie
auf den Mittheilungen eines Bruders und der nächsten
Freunde /. Lorber's beruht.
Jakob Lorber wurde am 22. Juli 1800 in der Gemeinde
Kanischa der Pfarre Jaring bei Marburg in Steiermark
geboren, wo sein mit Maria Tautscher verehelichter Vater
Michael Lorber zwei Bergholdengründe besass und nebstbei,
da er die meisten musikalischen Instrumente fertig spielte,
durch mehrere Jahre auch der damals unter dem Namen
„Schwarzenbacher" sehr beliebten Musikergesellschaft als
Kapellmeister vorstand. Er starb erst, nachdem sein Sohn
Jakob bereits 30 Jahre alt und längst selbständig geworden
war, im 74. Lebensjahre auf seinem heimatlichen Besitz-
thume, und die Mutter , eine sehr intelligente Frau, die an
ihrem Erstgebornen mit grosser Liebe hing, ebendort erst
einige Jahre nach dem Hinscheiden des Letztern, bereits
87 Jahre alt. Jakob Lorber war also nicht „schon in früher
Jugend verwaist, sein Vaterhaus brannte" nie ab, und er
war daher auch nie „in Gefahr, dabei umzukommen."
Er und seine Brüder wurden in ihrer Jugend lediglich
von ihren Eltern erhalten und mit grosser Aufopferung in
ihrer Ausbildung unterstützt; und somit wurde er auch
nicht „von guten Nachbarn aufgenommen, genährt, gekleidet,
in die Schule geschickt und vor dem Elend errettet,"
Schon neun Jahre alt, erhielt er in der Dorfschule zu
Jaring den ersten Unterricht im Lesen und Schreiben, wogegen
er nie eine Abneigung zeigte, wie jener Artikel zu
berichten weiss, sondern wofür er vielmehr regen Eifer bewies
, wie er denn überhaupt ein sehr wissbegieriger Knabe
war. Daneben äusserte er auch grosse Vorliebe und Befähigung
zur Musik, in welcher ihn zuerst der Vater selbst,
später aber der Ortsschulmeister mit gutem Erfolge unterwies
, so dass er zunächst einige Blasinstrumente und nachher
auch das Klavier, die Orgel und die Violine spielen
lernte. Im Sommer 1817 besuchte er den Lehramtsunterricht
in Marburg und trat darauf in den Landschuldienst.
Ein Caplan, der nun dessen besondere Fähigkeiten bemerkte,
gab ihm deshalb einige Unterweisung in der lateinischen
Sprache und eiferte ihn an, sich dem Priesterstande zu
widmen. Lorber begann nun sofort im Jahre 1818 die
Gymnasial - Studien in Marburg, wurde bald seines Wohlverhaltens
wegen zum Familias seiner Klasse ernannt, und
bezog für die damit verbundenen kleinen Verrichtungen sowie
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