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556 Psychische Studien. VI. Jahrg. 12. Heft. (December 1879.)
empfinden, sondern die Seele empfindet. Die Seele ist das
Prineip des Bewusstseins, jene und dieses bedingen sieh wie
Ursache und Wirkung. Das Prineip des Bewusstseins und
Verstandes und das Prineip des Lebens ist eins und dasselbe
. Die Seele des Individuums ist weder Accidenz des
Bewusstseins, noch Eigenschaft der Materie. Die reinste
und reichste Empfindung hat den reinsten und reichsten
Verstand zur Folge. Der Verstand schafft sich nicht den
Stoff, das Wahrnehmungsvermögen muss ihn ihm bieten.
Wie der Sinn (Receptivität), so der Verstand (Spontanität).
Der Grad unseres Vermögens, uns von den Dingen zu
unterscheiden, ist der Grad unserer Persönlichkeit, unserer
Geisteshöhe. In dem vorstellenden Ich liegt a priori die
Möglichkeit, das Vermögen, etwas sich vorzustellen, nicht
aber zugleich die Substanz der Vorstellung, die vorstellbare
Materie. Denn die Seele ist Vorstellungskraft. Der
Mensch allein auf der Erde besitzt das Vermögen, sich
seiner selbst bewusst zu werden, er allein gelangt zum Selbst-
bewusstsein. Das Selbstwahrnehmungsvermögen ist Vernunft,
und die Vernunft ist nicht auf die Denkkraft gegründet,
sondern die Denkkrai't auf die V ernunft. Nur das vernünftige
Wesen ist der Wissenschaft fähig. Persönlichkeit
und Vernunft sind unzertrennlich. Durch die Vernunft
kommen in den menschlichen Verstand ganz neue Erkenntnisse
, die sittlichen Principien: Gott, reihett und
Unsterblichkeit. Nicht die Philosophie bringt erst eine
Sehnsucht nach ihnen hervor, sondern die angeborene Sehnsucht
nach ihnen bringt die Philosophie hervor. Die sittlichen
Ideen stammen nicht aus dem Verstand, sondern aas
der Vernunft, dem höheren Vermögen, welchem sich das
Wesen auf eine den Sinnen und dem Verstände unbegreifliche
Weise kund thui Der Mensch handelt mit dem Be-
wusstsein der Freiheit. Nur das Hervorbringen der Natur
ist ein bbndes, vernunftloses, nothwendiges, mechanisches.
Der Vernunft liegt die Freiheit als Substanz zu Grunde.
Vernunft ist die apriorische Synthese unserer Seele mit Gott.*)
Ohne sie hätten wir kein Bewusstseiu. Der Mensch muss
*) Könnte dies nicht ganz persönlichkeitspanrheistisch verstanden
werden? Was schützt davor, wenn doch Jacobi reinen Theismus
lehren will? Sieht diese Synthese der Seden mit Gott nicht den
Effulgurationen des Leibniz sehr ähnlich? Sind die Menschenseelen
von Gott geschaffen, so sind auch die Naturwesen von Gott geschaffen.
Warum soll nun nicht jedes geschaffene Wesen ein Gottwesen sein, sondern
nur der Mensch? Besteht dennoch ein solcher Unterschied, so
kann er nicht im Geschaffensein als solchem liegen, sondern in dem, als
was er geschaffen ist, ob als freies oder als nicht freies Wesen, wenn
nicht alle zur Entwicklung zur Freiheit bestimmt sind.
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