http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1879/0606
576 Psychische Studien. VI. Jahrg. 12. Heft. (December 1879.)
Eine wahre Lehre darf sich nicht widersprechen, wenigstens nicht in
einem so wichtigen Punkte." — Unser Journal wirft sich über dergleichen
Cardinalfragen zu keinem entscheidenden Richterstuhl auf.
Wir vernehmen ebenso wie Sie selbst nur die verschiedensten „Für
und Wider" die Reincarnations-Theorie. Jedenfalls bemht der ganze
bisherige Streit der Partheien auf einem gegenseitigen Missverständniss
dieses Wiedergeborenwerdens. Dass die Wesenheiten alier auf Erden
geborenen Geister und Körper schon vor ihrer Geburt vorhanden
waren und nach ihrem Tode noch weiter da sein müssen, und zwar
nach einem stetig fortschreitenden Gesetze der Entwicklung, wird
kaum ein wahrhaft tiefer Denker mehr bezweifeln.
Wir können uns aber in Betreff des Wie? dieser fortschreitenden
Entwicklung doch nur auf die Aussagen und Eigenempfindungen
der verschiedenen Geister beziehen, welche vielleicht in den verschiedensten
Zuständen der Abhängigkeit oder Unabhängigkeit verweilen
und so von einander ganz verschiedene Schilderungen ihres
jeweiligen Zustandes geben; sie können daher beiderseits in ihrem
relativen Rechte sein. Unseres Erachtens kann nur fleissiges Fort-
experimentiren und Vergleichen aller glaubwürdigen Geister-Aussagen
mit tinander zu einem annähernd aufklärenden Resultate führen.
Hiernach sollten Geister, welche sich wirklieb reinkarnirt fühlen,
doch wohl auf einer entsprechend niedrigeren Stufe der Entwicklung
stehen als solche, welche sich über irdische Incarnationen hinaus-
fewachsen und fortgeschritten erklären und dem entsprechend auch
undgeben. Man kann hohe und niedere Geister fast immer an ihren
jeweiligen Kundgebungen bemessen. Das lehrt Kardec übereinstimmend
mit dem amerikanischen Spiritualismus. Die Art dieser Bemessung
hängt aber von eines Jeden individueller Geistes- und Herzensbildung,
so wie augenblicklicher Lebensstellung ab. — So auch sind weder
Sie noch wir im Stande, über die absolute Berechtigung gewisser
Regierungen, ihre politischen Gegner zu verbannen, einen fillgemein
gültigen Maaszstab aufzustellen. Gott richtet einen Jeden nach seinem
innersten Gewissen. Wir müssten uns erst in gleicher Lage befinden,
um vollgültig darüber urtheilen zu können, ob sie auf dem Wege
ihrer naturnothwendigen historischen Entwicklung aus purer Tyrannei
oder blosser Nothwehr und Selbsterhaltungstrieb handelten. Dieses
als kurze Antwort auf Ihre gleichzeitig ventilirte zweite Frage.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1879/0606