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22 Psychische Studien. VII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1880.)
Schliesslich noch eine kleine Mittheilung aus meiner
eigenen Erfahrung. Ich hatte als Arzt seit Anfang Januar
1879 eine unverheirathete Dame von 62 Jahren, Fräulein
5. zu behandeln, welche an einem heftigen Gesichtsschmerz
linkerseits litt. Das Uebel war 4 Jahre alt, hatte sich allmählich
trotz verschiedener dagegen angewandter Kuren
verschlimmert und hatte eine Höhe erreicht, dass die Kranke
am Rande der Verzweiflung war. Namentlich Nachts —
und die Nächte waren schon lange von Mitternacht an vollständig
schlaflos — steigerte sich das Unerträgliche der
Pein dermaassen, dass mir die unglückliche Kranke wiederholt
sagte, es komme öfter der Gedanke über sie. sie müsse
sich durch Schliessen der Ofenklappe von ihrem Leide befreien
. Die Aussicht auf eine Hebung war nach ärztlichen
Grundsätzen um so fernliegender, da ein centraler Ursprung
der Neuralgie mit annähernder Gewissheit angenommen
werden musste. Der Erfolg meiner (homöopath.) Behandlung
war anfänglich ein negativer, und doch schöpfte ich
aus dem Umstände, dass gleich die ersten Mittel eine starke
Reaction im ganzen Körper, aber mit Verschlimmerung
der Nervenschmerzen, hervorgerufen hatte, die Hoffnung,
dass es vielleicht allmählig gelingen könnte, durch minimale
Gaben des entsprechenden Arzneimittels das Uebel zu heben,
mindestens doch zu erleichtern. Die Kranke hielt ebenfalls
treu an ihrer Hoffnung, und wie nun allmählig Anfang
Februar ü> und zu etwas leichtere Augenblicke eintraten,
sagte mir die Dame, sie verzweifle nicht, sie habe vielmehr
das Vertrauen, dass ihr würde geholfen werden, wenn nicht
früher, so doch in der ersten Hälfte des März. Auf näheres
Nachfragen nun erzählte sie mir Folgendes: In ihrem 49.
Jahre hatte sie 3 Monate lang das Bett gehütet wegen
eines Magen- und Darmleidens, mit Erbrechen alles Genossenen
. Nachdem das Leiden etwa einen Monat gedauert,
habe sie in einer Nacht deutlich und klar über ihrem Bett
an der Wand das Datum gelesen; „2. März," und habe sich
dabei die bestimmte Ueberzeugung bei ihr ausgebildet, der
2. März würde für sie ein entscheidender Tag sein, und ihr
entweder den Tod oder den Anfang der Genesung bringen.
In der Nacht vom 2. auf den 3. März habe sie dann zum
ersten Male nicht gebrochen, habe von da an Speisen bei
sich behalten und sich verhältnissmässig rasch erholt. Nun
sei ihr im Januar d. J. kurz vor der Zeit, wo sie zuerst
meine Hülfe aufgesucht, eine ähnliche Erscheinung in der
Nacht gekommen. Sie habe in der Heftigkeit des Schmerzes
ausgerufen: „Guter Gott, steh mir bei!" und habe da plötzlich
ganz klar und hell das Datum des 6., 7. und 8. März
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