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62 Psychische Studien. VII. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1880.)
so lange unbekannt, als es uns nicht experimentell möglich
ist, die Gleichartigkeit dieser Ursachen zu beweisen.
Wir wissen nun aus der inneren Erfahrung, dass unser
Wille bis zu einem gewissen Grade im Stande ist, vermittelst
der sogenannten Einbildungskraft Gesichts vor Stellungen in
beliebiger Weise in der eigenen Seele zu erzeugen. In
diesem Falle erkennen wir also als Ursache unserer Vor-
Stellungen unseren eigenen Willen. Liessen sich nun Experimente
anstellen, bei welchen dieser individuelle Wille
eines einzelnen Menschen in ähnlicher Weise nach Belieben
Vorstellungsbilder in der Seele eines anderen, räumlich von
dem wollenden Subject getrennten Menschen erzeugen könnte,
und zwar mit allen Attributen derjenigen Realität ausgestattet
, welche wir der uns umgebenden, sogenannten realen
oder wirklichen Welt beilegen, so wäre hierdurch experimentell
der Beweis geliefert, dass durch einen mit Intelligenz
gepaarten individuellen Willen in anderen
Individuen das Phänomen einer realen Aussen weit erzeugt
und hervorgerufen werden könne. Alsdann aber wäre
es nach den Principien der naturwissenschaftlichen Induction
ein nothwendiger Schluss, auch als Ursache für die Vorstellung
unserer ganzen realen Körperwelt eine qualitativ
gleiche Ursache anzunehmen, d. h. einen mit Intelligenz
gepaarten individuellen Willen, gleichgültig, wie weit in
quantitativer Beziehung die Intelligenz und Stärke
jenes individuellen Willens den menschlichen überrage.
Ich behaupte, dass die hier dargelegte Induction eine naturwissenschaftlich
und logisch nothwendige und zugleich
die einzig mögliche sei, welche einem rationell
operirenden Verstände offen steht. Nervton hat diese Behauptung
im dritten Buche seiner Principien durch die
dritte Regula philosophandi in folgenden Worten ausgesprochen
:
„Ideoque effectuum naturalium ejusdem generis
„eaedem assignandae sunt causae quatenus fieri potest;
„— utique respirationis in homine et in bestia; descensus
„lapidum in Europa et America; lucis in igne culinari
„et in Sole; reflexionis lucis in terra et in planetis." *)
Es handelt sich also im obigen Falle nur noch um die
Frage, ob sich Experimente anstellen lassen, bei welchen
*) Das heisst: — „Daher sind die Ursachen natürlicher Wirkungen
von derselben Art, soweit diess geschehen kann, derselben Ursache
zuzuschreiben; — so z. B. die der Athmung beim Menschen und beim
Thiere; die des Niederfallens von Steinen in Europa und Amerika;
die des Lichtes beim Kücjenfeuer und bei der rfonne; die der Reflexion
des Lichtes auf der Erde und auf den Planeten." Die Bed.
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