http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1880/0178
IL Abtheilung.
Theoretisches und Kritisches.
Im Jahre des Heils 1880.
Von Dr. Eobert Friese in Breslau.
I.
Als icli einst an der Nordküste Afrikas entlang mit
einem Dampfschiffe Mir, erregte ein schöner Maure in seiner
malerischen Tracht meine Aufmerksamkeit. Er sprach leidlich
Französisch, kam von Paris und verharrte gern in jener,
den Orients len so schön anstehenden, philosophischen Buhe,
d. h. er starrte vor sich hin aufs blaue Meer und hörte
meine Anrede lange Zeit gar nicht. Allein ich konnte es
ihm nicht erlassen, er musste mir gestatten, einen Blick
in sein Wesen zu thun. Es gelang mir denn auch schliesslich
, ganz interessante Ansichten aus ihm herauszulocken,
von denen ich hier nur eine mittheilen will* Als ich ihn
fragte, was seine Landsleute denn nun dazu sagten, wenn
er ihnen die Wunder von Paris schilderte, antwortete er
„Maschi ma hui", d. h. „ich werde nicht so närrisch sein."
„Warum denn? Würde man Dir nicht Glauben schenken?"
„Steinigen mich." — „Wenn Du etwas in der Fremde schön
fändest?" — „Du sagst es: nirgend kann es besser sein als
unter den Brüdern."
Dieses offene Wort bezeichnet ungefähr den Standpunkt
, auf dem auch wir im Jahre des Heils 1880 „unter
den Brüdern" stehen. Wer sich einfallen lässt, etwas Anderes
zu sehen, zu treiben, zu erstreben, als was jeder
Nudelmüller auch känn, oder wer irgendwo im Auslande
Etwas kennen gelernt hat, was die Mandarine der Hochschule
nicht schon längst gewusst haben, der büsst diese
Schuld am Pranger, mit einer Tafel am Halse, auf der
zu lesen „bedauerliche Verirrungen," und die armseligsten
Pedanten und dürftigsten Scribenten werfen ihr
Kothklümpchen mit Entrüstung, oder wenigstens stillvergnügt
, dem Gefesselten nach dem Kopf; und dafür muss er
noch dankbar sein, denn Steine vertrüge er noch weniger;
gehören auch nicht in eine so aufgeklärte Zeit! „Leben
und leben lassen!" Ein wenig mit Schmutz bewerfen ist so
schädlich nicht, und nicht so grausam, giebt ausserdem den
Schein der Ueberlegenheit, und der ist in Gewerbeyer-
einen u. s. w. sehr nöthig, auch noch ein gewisses Relief;
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