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224 Psychische Studien. VII. Jahrg. 5. Heft, (Mai 1880.)
tlieilbare Werk der Ideenbildung im Menschen lässt sich
nicht in einzelnen materiellen Theilen des Gehirns materiell
und zerstreut aufsuchen. Die Fähigkeiten des Geistes
können nicht örtlich von einander getrennt sein. Die
heilige Werkstätte der Ideen, das innere Gehirn, wo
sich die Sinne einander nähern, ist daher als die Gebärmutter
anzusehen, in der sich d*e Frucht der Gedanken
unsichtbar und unzertheilt bildet. Fehlen dem Gehirn
wesentliche Theile oder feinere Säfte, nehmen gröbere Sinne
den Platz ein, oder findet es sich in einer verschobenen
zusammengedrückten Lage, so ist die Folge, dass jene feine
Zusammentreffung der Ideen nicht stattfindet, dass das Geschöpf
ein Knecht der Sinne bleibt. Der Vorzug des Menschen
in seiner Gehirnbildung hängt offenbar von seiner
vollkommenen Organisation im Ganzen und zuletzt von
seiner aufrechten Stellung ab. Aber im Innern liegt der
Grund des Aeusseren, weil durch organische Kräfte alles
von innen heraus gebildet wird.
Blicke also auf gen Himmel, o Mensch, und erfreue
dich schaudernd deines unermessliehen Vorzugs, den der
Schöpfer der Welt an deine aufrechte Gestalt geknüpft hat.
Gingest du wie ein Thier gebückt, wäre dein Haupt für
Mund und Nase geformt und danach der Gliederbau geordnet
, wo bliebe deine höhere Geisteskraft, das Bild der
Gottheit, unsichtbar in sich gesenkt? Durch die Bildung
der Glieder zum aufrechten Gange bekam das Haupt des
Menschen seine schöne Stellung und Richtung. Damit gewann
das Hirn völligen Baum, sich auszubreiten und seine
Zweige abwärts zu senden, Gedankenreich wölbte sich die
Stirne, die thierischen Organe traten zurück, es ward eine
menschliche Bildung. Der Mensch ist organisirt zu feineren
Sinnen, zur Kunst und zur Sprache, zu feineren Trieben
und zur Freiheit, zur zartesten Gesundheit und zugleich
zur Dauer, mitldn zur Ausbreitung über die ganze
Erde und endlich zur Humanität und Religion. Damit ist
eng verknüpft, dass er zur Hoffnung der Unsterblichkeit
gebildet ist. Aller Zusammenhang der Kräfte und Formen
ist weder Rückgang noch Stillstand, sondern Foitschreitung.
Nichts in der Natur steht still. Alles strebt und rückt
weiter. Könnten wir die erste Periode der Schöpfung
durchsehen, wie ein Reich der Natur auf das andere gebaut
ward, weiche Progression fortstrebender Kräfte würde
sich in jeder Entwickelung zeigen! Als die Thore der
Schöpfung geschlossen wurden, standen die einmal gewählten
Organisationen als bestimmte Wege und Pforten da,
auf denen sich künftig in den Grenzen der Natur die nie-
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