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Prof. Hoffmaim: Die Unsterblichkeitsiehre Joh. Gottfr. Herders. 225
deren Kräfte aufschwingen und weiter bilden sollten, Neue
Gestalten erzeugten sieh nicht mehr; es wandeln und verwandeln
sich aber durch dieselbe untere Kräfte, und was
Organisation heisst, ist eigentlich nur Leiterin derselben
zu einer höheren Bilduug. Durch die Pflanze geht es zum
Thier, durch das Thier zum Menschen. Das Menschengeschlecht
lässt sich als der grosse Zusammenfluss niederer
organischer Kräfte ansehen, die in ihm zur Bildung der
Humanität kommen sollten. Aber der Mensch geht weder
mehr rückwärts zum Thier, zur Pflanze, und er steht auch
nicht still, sondern rückt weiter. Die menschliche Seele
denkt nicht durch die Bestandteile, in die das Hirn aufgelöst
werden kann. Es ist nur eine unphysiologische
Vorstellung, sich das Gehirn als einen Selbstdenker, den
Nervensaft als einen Selbstempfinder zu denken. Es sind
vielmehr eigene psychologische Gesetze, nach denen die
Seele ihre Vorstellungen vornimmt und ihre Begriffe verbindet
. Dass es ihrem Organe gemäss und demselben harmonisch
geschehe, dass, wenn das Werkzeug nichts taugt,
auch die Künstlerin nichts thun könne etc., diess leidet keinen
Zweifel, ändert aber nichts im Begriff der Sache. Diess
beweist sich schon daraus, dass der Gedanke, ja die erste
Wahrnehmung ganz ein anderes Ding ist, als was ihr der
Sinn zuführt. Nennen wir es Bild, so ist doch das Bild
der Seele ein geistiges, von ihr selbst bei Veranlassung der
Sinne geschaffenes Wesen. Der körperliche Sinn lernt
nichts. Denn das Bild malt sich den ersten Tag aufs
Auge, wie es sich am letzten des Lebens malen wird, Aber
die Seele durch den Sinn lernt messen, vergleichen, geistig
empfinden. Körper und Seele sind verschieden wie Organ
und Kraft (Kraftwesen, Monade), Das Wort erinnert an
die Idee und bringt sie aus einem andern Geiste zu uns
herüber; aber es ist sie nicht selbst, und eben so wenig ist
das materielle Organ Gedanke.
Wie der Leib durch Speise zunimmt, so unser Geist durch
Ideen, ganz nach den Gesetzen der Assimilation; des Wachsthums
und der Hervorbriugung, nur nicht auf eine körperliche
, sondern auf eine ihm eigene (geistige) Weise. Das
hellere Bewusstsein ist der Seele auf eine geistige Weise
und zwar durch die Humanität erst zugebildet worden.
Nichts gewährt dem Menschen ein so geistiges Gefühl seines
Daseins als Erkenntniss einer Wahrheit, die er selbst errungen
hat, die seiner innersten Natur ist und bei der ihm
oft alle Sichtbarkeit verschwindet. Der Mensch vergisst
sich selbst, er verliert das Maass der Zeit und seiner sinnlichen
Kräfte, wenn ihn ein hoher Gedanke aufruft und er
Tsychisohe Studien. Mai 1880. 15
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