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226 Psychische Studien. VII. Jahrg. 5. Holt. (Mai 1880.)
denselben verfolgt. Die sehousslichsten Qualen des Körpers
liaben durch eine einzige lebendige Idee unterdrückt
werden können, die damals in der Seele herrschte. Menschen
, die von einem Affekte, besonders von dem lebhaftesten
, reinsten, der Liebe Gottes ergriffen wurden, haben
Leben und Tod nicht geachtet und sich in diesem Abgrunde
aller Ideen wie im Himmel gefühlt. Das gemeinste
Werk wird uns schwer, sobald es nur der Körper verrichtet
; aber die Liebe macht uns das schwerste Geschäft leicht
und giebt uns zur langwierigsten Bemühung Flügel Wer
von diesem inneren (geistigen) Leben überzeugt ist, dem
werden alle äusseren Zustände, in welchen sich der Körper
wie alle Materie unablässig verändert, mit der Zeit nur
Uebergänge, die sein Wesen nicht angehen. Er schreitet
aus dieser Welt in jene so unvermerkt, wie er aus Nacht
in Tag und aus einem Lebensalter ins andere schreitet.
Im balsamischen Schlafe, dem Bruder des Todes, ruhen die
Nerven und Muskeln und die sinnlichen Empfindungen, und
dennoch denkt die Seele fort in ihrem eigenen Lande. Sie
ist nicht abgetrennter vom Körper, als sie wachend war,
wie die im Traume oft eingemischten Empfindungen beweisen
, und dennoch wirkt sie, nach eigenen Gesetzen, auch
im tiefsten Schlafe fort. Da alle Ursachen des Schlafes
ein Analogem des Todes sind, warum sollten es nicht auch
seine geistigen Symptome sein? So bleibt uns die Hoffnung,
dass auch der Todesschlaf nur das Fieber des Lebens
kühle, die einförmige Bewegung umlenke, manche Wunden
heile und die Seele zu einem frohen Erwachen, zum Gc-
nuss eines neuen Jugendmorgens bereite. Und so ist unsere
Humanität nur Vorübung, die Knospe zu einer künftigen
Blume. Der Zweck unseres jetzigen Daseins ist auf
Bildung zur Humanität gerichtet. Aber wer unter den
Sterblichen kann sagen, dass er das reine Bild der Menschheit
, das in ihm liegt, erreiche oder erreicht habe? Somit
geht dieser Zweck über unser (irdisches) Dasein hinaus,
und die Erde ist nur ein Uebungsplatz, eine Vorbereitungsstätte
. Auf der Erde musste freilich noch viel Niedriges
dem Erhabensten zugesellt werden, und der Mensch im
Ganzen ist nur eine kleine Stufe über das Thier erhoben.
Auch unter den Menschen selbst musste die grosseste Verschiedenheit
stattfinden, da Alles auf der Erde so vielartig
ist und in manchen Gegenden und Zuständen unser Geschlecht
so tief unter dem Joch des Klima und der Noth-
durft liegt.
Der Entwurf der bildenden Vorsehung musste also alle
diese Stufen, diese Zonen, diese Abartungen mit einem
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