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228 Psycliische Studien. VII. Jahrg. 5 Heft. (Mai 1880.)
für die Kräfte unseres Geistes und Herzens ist dieser
Schauplatz immer nur eine Uebungs- und Prüfungsstätte.
Wir kommen und gehen, jeder Augenblick bringt Tausende
her und nimmt Tausende hinweg von der Erde: sie ist eine
Herberge für Wanderer, ein Irrstern, auf dem Zugvögel
ankommen und wegeilen. Das Thier lebt sich aus, oder
wenn nicht, höheren Zwecken zufolge, so ist doch sein innerer
Zweck erreicht. Der Mensch allein ist im Widerspruch
mit sich und mit der Erde, weil das nach seiner geistigen
Anlage unausgebildetste Erdenwesen. Die Ursache davon
ist offenbar die, dass sein Zustand, der letzte für diese Erde,
zugleich der erste für ein anderes Dasein ist.
Der grosseste Theil des Menschen ist Thier; zur Humanität
hat er bloss die Fähigkeit auf die Welt gebracht,
und sie muss ihm durch Mühe und Pleiss erst angebildet
werden. Wie Wenigen nun ist es auf die rechte Weise
angebildet worden! Und auch bei den Besten, wie fein und
zart ist die in ihnen aufgepflauzte göttliche Blume! Das
Leben ist also ein Kampf und die Blume der reinen, unsterblichen
Humanität eine schwer errungene Krone. Den
Läufern steht das Ziel am Ende; den Kämpfern um die
Tugend wird der Kranz im Tode. Da wahrscheinlich der
künftige Zustand so aus dem jetzigen hervorgeht, vie der
unsrige aus dem Zustande niedrigerer Organisationen, so
ist ohne Zweifel auch das Geschäft desselben näher mit
unserem jetzigen Dasein verknüpft, als wir denken. Der
höhere Garten blüht nur durch die Pflanzen, die hier keimten
und unter einer reichen Hülle die ersten Sprösschen
trieben. Ist nun Geselligkeit. Freundschaft, wirksame Theil-
nehmung beinahe der Hauptzweck, worauf die Humanität
in der ganzen Geschichte der Menscheit angelegt ist, so
muss diese schönste Blüthe des menschlichen Lebens noth-
wendig dort zu der erquickenden Gestalt, zu der umschattenden
Höhe gelangen, nach der in allen Verbindungen der
Erde unser Herz vergebens dürst' t. Unsere Brüder der
höheren Stufe lieben uns daher gewiss mehr und reiner, als
wir sie suchen und lieben können. Denn sie übersehen un-
sern Zustand klarer, der Augenblick der Zeit ist ihnen
vorüber, alle Disharmonien sind aufgelöst, und sie erziehen
an uns vielleicht unsichtbar ihres Glückes Theilnehmer,
ihres Geschäftes Brüder. Nur Einen Schritt weiter, und
der gedrückte Geist kann freier atbmen, das verwundete
Herz ist genesen. Sie sehen den Schritt iierannahen und
helfen dem Gleitenden mächtig hinüber.
„Ich kann mir also auch nicht vorstellen, dass, da wir
eine Mittelgattung von zwei Klassen und gewissermaassen
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