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Prof, Hoffmann: Die 4Unsterhliehkeitslehre Joh. Gottfr. Herders. 321
klein und verschwindend der Punkt unseres Erdenthaies
sei gegenüber der unerinesslichen Pracht und Herrlichkeit
aller Sterne, Sonnen und Welten, leitet Theages zu begeisterten
Gedankenreihen, die mit den eigenen Worten wiedergegeben
werden wollen, da ihre Schönheit durch jede Abkürzung
beträchtlich verlieren würde: „Was denken Sie,
sagte Theages, jetzt von ihrem Principio Miniini, nach welchem
Sie (Charikles) sich immer auf der Erde umhertummeln
wollen und an diess Staubkorn geheftet sind? Sehen
Sie gen Himmel, Gottes Sternenschrift, die Urkunde unserer
Unsterblichkeit, die glänzende Charte unserer weiteren
Wallfahrt! Wo endet das Weltall? und warum kommen
von dorther, vom fernsten Stern, zu uns Strahlen hinunter?
warum sind dem Menschen die Blicke und der flammende
Flug unsterblicher Hoffnungen gegeben? warum deckt uns
Gott, wenn wir den Tag über vom Strahl der Sonne ermattet
und an unsern Staubklump gefesselt waren, Nachts
dieses hohe Gefilde unendlicher ewiger Aussichten auf?
Verloren stehen wir im Heer der Welten Gottes, im Abgrund
unserer Unendlichkeit ringsum verloren! — Und
was sollte meinen Geist an diess träge Staubkorn fesseln,
sobald mein Leib, diese Hülle, herabsinkt? Alle Gesetze,
die mich hier festhalten, gehen offenbar nur meinenLeib
an: er ist aus dieser Erde gebildet, und er muss wieder zu
dieser Erde werden. Gesetze der Bewegung, Druck der
Atmosphäre, alles fesselt ihn, nur ihn hienieden. Der
Geist, einmal entronnen, einmal der zarten und so festen
Bande los, die ihn durch Sinne, Triebe, Neigungen, Pflicht
und Gewohnheit an diesen kleinen Kreis der Sichtbarkeit
knüpfen: welche irdische Macht könnte ihn festhalten? welch
ein Naturgesetz ist entdtckt, das Seelen, in dieser engen
Rennbahn sich umherzudrehen, zwänge? Sogar über die
Schranken der Zeit ist unser Geist weg: er verachtet Raum
und die träge Erdenbewegung: entkörpert ist er sogleich
an seinem Ort, in seinem Kreise, in dem neuen Staat,
dazu er gehört. Vielleicht ist dieser um uns, und wir kennen
ihn nicht: vielleicht ist er uns nahe, und wir wissen
nichts von ihm, ausser etwa in einigen Augenblicken seliger
Ahnung, da ihn die Seele, oder er die Seele, gleichsam herbeizieht
. Vielleicht sind uns auch Ruheörter, Gegenden
der Zubereitung, andere Welten bestimmt, auf denen wir,
wie auf einer goldenen Himmelsleiter, immer leichter, thä-
tiger, glückseliger zum Quell alles Lichtes emporklimmen,
und den Mittelpunkt der Wallfahrt, den Schooss der Gottheit
, immer suchen und nie erreichen: denn wir sind und
bleiben eingeschränkte, unvollkommene oder endliche Wesen-
Psychische Studien. Juli J8H0. 21
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