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K. Wolf: Erlebnisse auf dein Gebiete des geistigen Verkehrs. 441
nacht nach Hause. Den nächsten Tag musste ich abermals
den "Wald aufsuchen; ich ging an die Stelle, wo ich be-
grüsst worden war, sodann auf die Felsspitze, konnte aber
trotz eifrigen Ueberlegens den dritten Punkt nicht finden,
bis ich Weisung von unsichtbarer Hand erhielt. Jeden
Tag besuchte ich diese Punkte; sie waren mir lieb geworden
, und ich konnte hier ungestört meinen Gedanken
nachhängen. Doch tauchte nach und nach die Frage in
mir auf, warum ich doch nur hierher geführt worden war, und
ganz räthselhaft war es mir, als ich einst gegen Abend
oben auf der Felsspitze den Befehl erhielt: „Setze dich
nach Osten!" — dann: „nach Westen!" — „nach Süden!"
— „nach Norden!"
Ich sass mehrere Stunden lang einsam da oben, sah
die Sonne sinken und die Abendruhe eintreten, und war
tief gerührt über die Schönheit der sommerlichen Natur.
Aber, wie gesagt, es war mir räthselhaft, weshalb ich
dieses thun musste. So viel stand fest, das alles musste
einen Sinn haben. Was hat das alles zu bedeuten? Diese
brennende Frage im Herzen, ging ich den nächsten Tag
wieder hinaus. Und heute ward mir Licht. Die Lösung
stand mit einem Male vor mir; ich erschaute sie. Der
freundliche Ort am Waidebrand, mit dem Blick auf meine
Heimatstätte, er deutet die Liebe, das Wohlwollen an;
die Felsspitze mit dem weiten Blick über die Landschaft
ist das Sinnbild der Erhabenheit, und jener von Bäumen
umwachsene Hügel das Sinnbild der Sammlung und Einsamkeit
. Die Orte waren ausgesucht also, um mir den
Hinweis 7U geben auf das, wornach ich trachten sollte.
Wie unvergleichlich hoch war diese Art der Anweisung
und des Unterrichts gegenüber der menschlichen Weise,
die sich darauf beschränkt hätte zu sagen: „Du sollst dich
der Liebe, Erhabenheit und Einsamkeit befleissigen!" Frohen
Herzens eilte ich auf den Berg; auch dessen Q-eheimniss
wird mir klar werden. Kaum sitze ich in der bestimmten
Stellung, als auch die Antwort durch die Seele zuckt. Ich
sehe nach Osten: hier erhebt sich die Sonne, und ihr
himmlisches Licht erhellt die weiten Gefilde der Erde.
Licht von oben ist mir geworden; möchte dieses neue
Licht, ähnlich der Sonne, allgemein strahlen und die
geistige Finsterniss aus der Menschheit bannen; möchte
dieses Licht trotz Nebel und Wolken klar und hehr scheinen
wie die lichte Sonne! — Ich sehe nach Westen: Wolkenmassen
thürmen sich auf, ein ziemlich unfreundlicher Wind
treibt sie vor sich her. Da gilt es, Stand halten gegen
die Unwissenheit und den bösen Willen der Widersacher,
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