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Prof. Iloffmaiin: Karl Chr, Friodr. Krause's Unsterblichkeitslehro. 457
Ein erreichbares, unendlich vielmal von ihm in eigner Güte
und Schönheit erreichtes Lebensziel ist ihm ewig für die
unendliche Zeit von Gott vorgestellt, nicht ein unerreichbares
Ziel im Nebel der unendlichen Ferne. Jedes menschliche
geistige Individuum ist also in der unendlichen Vorzeit
schon dagewesen und hat gelebt und unendlich viele
Male bereits an seiner endlichen Wesenheit das göttliche
Ebenbild auf unendlich-endliche Weise vollendet dargestellt
und wird in der unendlichen Tiefe der Zukunft sein Leben
fortsetzen, um wiederum in unendlich vielen Lebenkreisen
unendlich viele Male den Gliedbau der göttlichen Wesenheiten
menschlich darzustellen, ohne Unterlass. Auch die
Gliedbauheit jeder ganzen Lebenvollzeit wird an dem Leben
der endlichen Vernunftwesen, die auf dieser Erde leben,
auf eigenthümliche Weise dargestellt. Die Erfahrungser-
kenntniss zeigt uns die Gestirne in Sonnensystemen, Sonnen,
Erden und Monden als Gliedbau gebildet und veranlasst
uns zu der Ahnung, dass die Volllebenzeit jedes endlichen
Geistes auch in dieser Beziehung gegliedert ist in untergeordnete
Volllebenzeiten; indem derselbe mit der Natur
gemäss diesem GHedbau der Gestirne in einem Gliedbau
der Thcilvollzeiten vereinlebt, einmal oder mehrmal auf
Monden, Erden, Sonnen in demselben Sonnensysteme und
dann nach vollendeter Ganzvollzeit übergeht zu einem neuen
Sonnensysteme.
Wenn, nach der Nachweisung der drei Hauptlebenalter
das endliche Wesen im ersten bildlich gedacht werden kann
als in Gott bewusstseinlos schlafend und im zweiten als
gleichsam von Gott vor dem vollen Erwachen träumend,
so ist es im dritten in Gott erwacht und hält sich in Gott
wach und lebt sein Leben in vollwesentlicher gottähnlicher
Gottinnigkeit, in vollwesentlicher Besonnenheit in Gott. Der
Beginn einer solchen Vollzeit (deren unendlich viele sich
folgen) erscheint als Keimpunkt, dessen Eröffnung als Punkt
einer Geburt. Von da erscheint es aufsteigend bis zum
Hochpunkt des dritten Hauptlebenalters, und von diesem
erscheint es wieder absteigend bis zu einem Punkte der uranfänglichen
Einheit des zeitlichen Daseins in Gott. Aber
der Punkt dieser Heimkehr ist wieder zugleich der Keimpunkt
eines neuen Lebenkreises. Der Punkt des Todes ist
auch der Punkt der Neugeburt. Der Tod selbst ist nichts
für sich, sondern er wird selbst erlebt, ist selbst nur ein
bestimmtes Erlebniss, ein Moment in dem sich fortbildenden
wiedergebiirenden Leben. Die Menschen und die Menschheit
im zweiten Hauptlebenalter schauen nicht ihr Leben-
verhältniss zu dem Geisterreiche und zu andern und höheren
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