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532 Psychische Studien. VII. Jahrg. 12. Heft. (December 1880.)
ein Medium auf irgend einer Illoyalität ertappt. Wo sind
denn die Menschen, die sich nicht über die Gebühr zur
Geltung bringen wollen? Sind sie etwa in den Keihen der
Wissenschaftler oder Parlamentsmitglieder ? Steht die Mora-
lität der Medien, oder aber stehen Thatsachen in Frage?
Maassen sich die Politiker nicht sehr offen einen Einfluss an,
den sie nicht haben? Stehlen die Autoren rieht fremde Gedanken
? Färben sich die Männer nicht Haar und Bart, um
jünger zu scheinen?
Man wende nicht ein, dass sich die Medien nur selbst
schaden, wenn sie ertappt und entlarvt werden; denn sie
vermehren erstens doch in vielen Fällen den Effect, was
ihrem Nymbus und Broderwerb zu Gute kommt, und zweitens
gilt diess ja von allen anderen, sich mit fremden Federn
schmückenden Sterblichen auch. Ein Mann, der z. B. über
50 Jahr alt ist, hat auf die Erwerbung von Liebe keinen
Anspruch; und "wenn es auch Mädchen oder kinderlose
oder eitle Frauen geben mag, die für einen wirklich bedeutenden
oder dafür geltenden Mann eine Neigung empfinden
, sei es aus Eitelkeit, sei es instinetiv (im Interesse
der nächsten Generation), so würde das mit den ungefärbten
Haaren auch gehen; im Gegentheile, ein altes Gesicht mit
nicht grauen Haaren ist viel älter und widerlicher. Wir
ziehen bei der Aufzucht von Pferden edle, ältere, erprobte
Vaterpferde den jüngeren, unbekannten oder gemeinen vor,
darum kann ein bedeutender Mann immerhin ausnahmsweise
auf ein Mädchenherz wirken, ohne solche Hilfsmittel
; diese sind also entweder überflüssig oder verwerflich,
und wenn damit ein Bündniss auf Lebenszeit erschwindelt
wird, verbrecherisch — es geschieht aber doch!
Nun kenne ich so manche, mitunter sehr bedeutende
Männer, welche zum Schaden ihrer Gesundheit und ihrer
Würde sich doch die Haare färben, um zu scheinen, ohne
den Zweck eigentlich zu erreichen, weil diess sogleich zu
erkennen ist — und sie thun es doch! Können diese Männer
aber in anderer Beziehung darum nicht bedeutend sein?
Wäre das nicht ein ganz falscher Schluss, sie wegen dieser
last allgemeinen Schwäche zu unterschätzen? Warum sollen
nun die Medien, welche ja auch an Grossenwalm leiden
können, und über diess den Kampf ums Dasein kämpfen,
nicht auch ein wenig schwindeln? Zu künstlichen Mitteln
greifen, wo die natürlichen nicht zureichen, ist eine ganz
allgemeine Erscheinung. Ob sich unter den Medien ein Cato
befindet oder nicht, das gilt mir gleich, ich habe es nur
mit Thatsachen zu thun, welche vom Vertrauen unabhängig
und objectiv giltig sind.
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