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550 Psychische Studien. VII. Jahrg. 12. Heft. (December 1880.)
und Fürsten niederlegte. Ihm war es ernst mit seinem
Glauben, und nichts lag dem redlichen Manne ferner als
Betrug. Mit 50 Jahren ging er nach Paris, wo er eine
Audienz beim Könige Heinrich II. hatte.
1559 starb Heinrich II. an einer in einem Turnier erhaltenen
Verletzung der Augen, und nicht lange darnach
ging wie ein Lauffeuer durch ganz Frankreich die Meinung,
Nostradamus habe seinen seltsamen Tod vorhergesagt. Man
verwies auf das 35. Quatrain der 1. Centurk seiner Prophezeihungen
, welches lautet: —
„Le lyon jeune le vieux surmontera,
En cnamp bellique par singulier duelle,
Dans cage d'or les yeux luy crevera.
Deux playes une, pour mourir mort cruelie."
(In freier Uebertragung ungefähr:
„Der junge Löwe wird den alten überwinden
Auf des Kampfes Plan \m Streit zu Zwei'n,
Das Goldvisir zersprengend wird er die Augen finden —
Zwei Wunden werden eine, und die wird tödtlioh sein.")
Von da ab wird der Name des Propheten mit Ehrfurcht
und Scheu genannt. 1564 hatte Nostradamus eine neue
Audienz beim nachfolgenden König, der ihn zu seinem
Leibmedicus ernannte und ihm Schutz gegen seine Feinde
versprach. Von allen Seiten besuchten ihn nun vornehme
Landsleute und Fremde; wenn man aber meinte, ihn zu
einer Verkündigung persönlicher Geschicke bewegen zu
können, täuschte man sich — er blieb Allen gegenüber
freundlich, aber in seiner gewohnten Weise ernst und
schweigsam , und gerade seine Zurückhaltung vermehrte
seinen Ruf.
1556 am 2. Juli starb er zu Salon de Craux in der
Provence, 62 Jahre 6 Monate 17 Tage alt. Sein Grabdenkmal
ist noch mit lateinischer Inschrift erhalten. Am
24 Juni hatte er in seinen Kalender die Worte geschrieben:
„Hic prope mors est (Hier ist der Tod mir nahe)", und
am 1. Juli Abends hatte er zu einem Freunde gesagt: „Du
wirst mich mit Sonnenaufgang nicht mehr am Leben finden."
„Sein Sohn Caesar gab 1568 „diess geheimnisvolle Buch"
zwar nicht „von Nostradamus eigener Hand", wie Geothe im
„Faust" sagt, aber in einer schönen alten Druckausgabe heraus.
„Es enthält 12 sog. „Centuries", welche mit wenigen Ausnahmen
von je hundert vierzeiligen Strophen (sog. Quat-
rains) gebildet werden, ausserdem 141 in gleicher Form geschriebenen
„Prcsages" und endlich 58 sechszeilige Pre-
dictions". Die knappe Form entspricht dem seltsamen Inhalt;
die Sätze sind vielfach elliptisch, die Gedanken dunkel
und verschleiert, und doch will es dem Leser; dem seither
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